Sie sehen aber gar nicht gut aus!
Blaulicht und Martinshorn und stellt das Missachten des Wegerechts unter Strafe. Übersetzt aus dem Juristendeutsch heißt der Text: »Mach jetzt unverzüglich den Weg frei«, was bedeutet, dass der Bürger sein eigenes Fahrzeug sofort an die Seite zu fahren hat, damit der Rettungswagen durchkommt.
Was er meistens aber nicht tut. Über die Gründe kann man nur spekulieren. Wir Retter diskutieren dies auch häufig, besonders und gerne im Straßenverkehr. Eine Diskussion darüber artet gelegentlich in wüstes Geschimpfe und Gefuchtel in Richtung des Autofahrers aus, der gar nichts versteht. Auch nicht, dass er einfach nur auf die Seite fahren soll.
Auch die alljährliche Winterproblematik stellt viele Autofahrer vor eine unüberwindbare Hürde aus Schnee und Eisglätte. Mit jeder Flocke schwindet die ohnehin bescheidene Übersicht im Straßenverkehr dramatisch, und die Fahrt endet oft mit einem Rums gegen den Bordstein. Für uns Retter wäre es besser, wenn überhaupt kein Schnee fiele. Stellen Sie sich den durchschnittlichen deutschen Wagenlenker vor, der auf das erste Flöckchen eines Jahres trifft. Zuerst verringert der Fahrzeugbesitzer die Geschwindigkeit, um dann durch unvorhersehbare Bremsmanöver auszuloten, wie glatt die Straße denn wirklich ist. Das Rumgegurke endet für den dahinter Fahrenden nicht immer positiv. Die Scheibenwischer werden gleich auf höchstes Wischintervall gestellt, um ja keiner einzigen Flocke eine Chance auf das Trüben der fahrerischen Weitsicht einzuräumen. Der Abstand zwischen Gesicht und Lenkrad wird so weit verringert, dass die Scheibe zusätzlich durch den Hauch des Atems beschlägt. Der Fahrer ignoriert sämtliche Mittellinien und Verkehrszeichen, die er im nebulösen Fahrzeuginneren ja auch nicht mehr sieht.
Aus meiner Sicht existieren vier unterschiedliche Typen von Autofahrern, die uns Rettern das Leben so schwer wie möglich machen: Typ Nummer eins ist einer der gefährlichsten aller Autofahrer. Sobald ein Rettungswagen das Einsatzhorn einschaltet, steigt er unverzüglich auf die Bremse, um einen neuen Rekord in Sachen kurzer Bremsweg aufzustellen. Und da steht er dann. Wenn dieser Autofahrer wenigstens noch ein bisschen auf die Seite fahren würde, hätten wir zumindest den Hauch einer Chance, an ihm vorbeizukommen.
Typ Nummer zwei reagiert überhaupt nicht. Entweder hat er den Lautstärkeregler seines MP3-Radios so eingestellt, dass er das Einsatzhorn für einen Bestandteil seines Hip-Hop-Gerülpses hält, oder er ist gehörlos.
Typ Nummer drei ist Dogmatiker. Der Typ »Oberlehrer« will nichts hören und ignoriert den Rettungsdienst grundsätzlich. Wenn wir mehrere Kilometer hinter so einem skrupellosen Querulanten hergefahren sind, wünschen wir uns eine Axt oder einen Revolver oder ihm vier geplatzte Reifen auf einen Schlag. Und dass der Arsch getrost in die Hölle fahren möge. Dort muss er dann wenigstens keinerlei Verkehrsregeln beachten.
Typ Nummer vier wartet strategisch ab. Eine günstige Gelegenheit muss her, um sein Fahrzeug zum Ausweichen an den Straßenrand fahren zu können. Mehrere Auswahlmöglichkeiten stehen dem Taktiker zur Verfügung. Der Punkt vor einer Bergkuppe erscheint ihm perfekt, hier ist allerdings die Gegenspur für uns nicht einsehbar. Alternativ hält Nummer vier in einer steilen Rechtskurve, in der das gleiche Problem besteht. Ein weiterer beliebter Haltepunkt ist auf einer Geraden parallel zu einem anderen Autofahrer, der sich auf der Gegenspur befindet. Als ob sie sich beide »Guten Tag« sagen wollten. Und wir passen hier wieder nicht durch und müssen dabei zusehen, wie zwei Autofahrer völlig an der Realität vorbei reagieren. Sofern man dies als Reaktion bezeichnen kann.
Auch an Sonntagen ist das Gefahre besonders ärgerlich. Der Begriff »Gefahre« kommt übrigens nicht von »Gefahr«, sondern von »Fahren«, hat aber durchaus mit beiden etwas zu tun. Es ist auf jeden Fall die Handlung, die ein Autofahrer hierzulande am schlechtesten beherrscht, wenn wir mit unserem Rettungswagen vorbeimüssen. Da es auf allen Kontinenten Rettungswagen gibt, stellt sich dieses Problem wahrscheinlich nicht ausschließlich in Deutschland.
Eines Tages fuhr ich zusammen mit Lenny hinter einem silberfarbenen, blank polierten Wagen her. Das Kennzeichen wies kein EU-Symbol auf. Lenny mutmaßte, dass der Fahrer seine Karre schon lange besaß und eine bestimmte Altersgrenze überschritten haben musste. Der Fahrer stammte – ausgehend von seinem
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