Sie sehen aber gar nicht gut aus!
Handfeuerwaffe blitzte unter seiner Jacke hervor. Er schrie im Wagen, dass das nicht sein könne. Dass sie ihn doch lieben müsse und was das Ganze solle. Er fuhr zu schnell, als dass sie einfach aus dem Wagen springen konnte. Also gab sie klein bei.
»Ich bleibe bei dir, wenn du mich gehen lässt«, bot sie an. Aber er antwortete nur, dass er sie einfach auslöschen werde. Ziellos fuhren sie in seinem Auto umher.
»Halt an und lass mich raus«, rief sie, »ich habe Angst!« Doch er reagierte nicht.
Zwei Handwerker in einem entgegenkommenden Lieferwagen schienen ihre Rettung zu sein. Sie würden ihr sicherlich helfen. Mit aller Gewalt riss sie die Handbremse bis zum Anschlag nach oben. Die Reifen des Wagens blockierten und hinterließen Bremsspuren auf dem Teer. Sie riss die Tür auf, die im Scharnier krachte und beim Zurückfedern gegen ihr Bein schlug. Sie stolperte, raffte sich wieder auf und floh aus dem rostigen Auto, an dem der schwarze Türgriff der Fahrertür fehlte und der Lack wie Schneeflocken vom linken Kotflügel abblätterte.
Die Venen traten an den Schläfen seines im Verhältnis viel zu großen Kopfes hervor, während seine Miene zu Eis erstarrte. Er stieg ebenfalls aus dem Auto aus, umrundete es und folgte ihr langsam und bedächtig – sein Blick haftete an ihr, er war absolut entschlossen, jetzt alles zu klären. Ein für alle Mal.
Die junge Frau stürzte auf die beiden Handwerker in ihrem Wagen zu, ihr Gesicht war in Todesangst verzerrt. Hilfeschreie hallten ihnen entgegen. Während der Verlassene in Richtung der Frau ging, zog er die großkalibrige Pistole wie in Zeitlupe unter seiner Jacke hervor. Dann legte er an. Ohne zu zögern, drückte er noch im Gehen ab und traf sein Ziel. Das Projektil bohrte sich durch den Hinterkopf der Frau, die auf der Stelle zusammenbrach und auf dem heißen Asphalt liegen blieb. Der weiße Lieferwagen mit den beiden Männern bremste abrupt und kam unmittelbar vor der Frau zum Stehen.
Jetzt schrie keiner mehr. Keiner bewegte sich. Niemand atmete. Die Zeit schien eingefroren.
Blut sickerte aus dem Kopf der Frau, ihre Augen waren halb geöffnet. Der Schütze stand noch immer mit gesenkter Waffe vor seinem Fahrzeug. Dann hob er seinen Kopf, registrierte den Lieferwagen und ging zielstrebig auf die Männer zu. Im Gehen feuerte er einige Schüsse auf deren Frontscheibe ab. Patronenhülsen fielen zu Boden und blieben auf der Straße liegen. Plötzlich machte er kehrt, sprang in sein Auto und verließ den Ort des Grauens, als ob er ein Rennen gewinnen wollte.
Einige Sekunden danach hätte man das Ticken einer Armbanduhr hören können.
Rettungsassistent Martin war zusammen mit dem Notarzt und dem Team des RTW 1/83/2 bereits an der Einsatzstelle, als wir den Einsatz über Funk gemeldet bekamen. Martin sprach von zwei Patienten mit Schussverletzungen und forderte Rettungshubschrauber an. Sirenen heulten in der Umgebung.
Als wir mit unserem Rettungswagen ankamen, wehte ein heißer Westwind und trug den Duft von Kakao und Gras zu uns. Zivi Jörg winkte uns zu. Sein Gesicht war blass wie Magermilch, seine Haut hob sich kontrastreich vom gestoppelten braunen Haar ab und glitzerte vor Schweiß. Jörg stand etwas abseits neben der Trage und hatte von Martin den Auftrag bekommen, das Bewusstsein des verletzten Handwerkers zu überwachen, der auf der orangefarbenen Trage lag und am Hals blutete. Martin war zusammen mit dem Notarzt und dem Kollegen Dietrich bereits bei der jungen Frau.
Wir stiegen aus. Die Eindrücke summierten sich für Lenny und mich und fügten sich lupenrein zu einem makaberen Szenario zusammen. Der Lieferwagen am Straßenrand, die Fahrertür weit geöffnet, mehrere Einschüsse in der Windschutzscheibe. Das geschätzte Kaliber: neun Millimeter. Daneben stand der unverletzte Handwerker in seinem Blaumann. Fast durchsichtig, still und unfähig, sich zu bewegen. Davor lag die junge Frau auf der Straße.
»Ein Patient mit Kopfschuss, ein Patient mit Schussverletzung am Hals und ein Schock«, funkte ich der Leitstelle als endgültige Lagemeldung durch. Und ich wollte wissen, wo der Helikopter blieb.
Mit professionellen Handgriffen versuchten wir, das Leben der jungen Frau zu retten. Sie hatte Puls, doch die Pupillen waren weit und reagierten nicht auf den sommertaghellen Lichteinfall. Die Hirnfunktionen waren vermutlich erloschen. Die schwere Verletzung des Gehirns ließ den Hirndruck ansteigen und Hirnmasse aus den Schusswunden austreten. Es war nur eine
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