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Titel: Sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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aufragte, düster und erodiert. Dunkle Göttin, Schwarzer Kontinent, ein Kopf aus Stein, voller Bienen. Über alldem befand sich noch ein weiteres Bild, das immer deutlicher wurde (als wäre ein
gewaltiges Lichtbild auf die Wolke projiziert worden, in der er lag), je mehr Zeit verstrich. Es war das Bild einer Lichtung, auf der ein einziger Eukalyptusbaum stand. Vom untersten Ast dieses Baums hing ein altmodisches Paar Stahlhandschellen herab. Bienen krochen darüber. Die Handschellen waren leer. Sie waren leer, weil Misery …
    … entkommen war? Das war sie, oder nicht? Sollte die Geschichte so nicht weitergehen?
    Sie sollte - aber jetzt war er sich nicht mehr so sicher. War es das, was die leeren Handschellen bedeuten sollten? Oder war sie weggebracht worden? In das Götzenbild? Zur Bienenkönigin, der heiligen Kuh der Bourkas?
    Du warst auch Scheherazade für dich selbst.
    Für wen erzählst du diese Geschichte, Paul? Wem erzählst du diese Geschichte? Annie?
    Natürlich nicht. Er sah nicht durch dieses Loch im Papier, um Annie zu sehen oder um Annie zufriedenzustellen … er sah hindurch, um Annie zu entkommen .
    Die Schmerzen hatten begonnen. Und das Jucken. Die Wolke wurde wieder heller und riss schließlich auf. Er begann, flüchtig das Zimmer zu sehen, das war schlimm; und Annie, das war noch schlimmer. Dennoch hatte er beschlossen zu leben. Ein Teil von ihm, der ebenso süchtig nach den Serials war, wie Annie es als Kind gewesen war, hatte entschieden, dass er nicht sterben konnte, bevor er nicht wusste, wie alles ausgegangen war.
    War sie mit der Hilfe von Geoffrey und Ian entkommen?
    Oder war sie in den Kopf der Göttin gebracht worden?
    Es war lächerlich, aber diese dummen Fragen schienen tatsächlich einer Antwort zu bedürfen.

7
    Sie wollte ihn nicht wieder an die Arbeit gehen lassen - anfangs nicht. In ihren unruhigen Augen konnte er sehen, wie verängstigt sie gewesen war und immer noch war. Wie nah dran er gewesen war. Sie sorgte aufopfernd für ihn, wechselte den Verband an seinem Stumpf alle acht Stunden (am Anfang, darüber hatte sie ihn mit dem Gebaren von jemandem informiert, der wusste, dass er für das, was er getan hatte, eigentlich einen Orden verdiente, aber nie einen bekommen würde, hatte sie ihn sogar alle vier Stunden gewechselt), wusch ihn und behandelte ihn mit wärmenden Alkohol-Einreibungen - als wollte sie damit verleugnen, was sie getan hatte. Arbeiten, sagte sie, würde ihm schaden. Es würde Sie zurückwerfen, Paul. Ich würde es nicht sagen, wenn es nicht so wäre - glauben Sie mir. Wenigstens wissen Sie schon, was passieren wird - ich würde sterben , um zu erfahren, was als Nächstes geschehen wird. Wie sich herausstellte, hatte sie alles gelesen, was er geschrieben hatte - alles von vor dem Eingriff, konnte man sagen -, während er dem Tod nahe war … mehr als dreihundert Manuskriptseiten. Auf den letzten vierzig Seiten hatte er die N noch nicht nachgetragen; das hatte Annie erledigt. Sie zeigte sie ihm mit einer Art unbehaglichem, trotzigem Stolz. Ihre N waren so sorgfältig wie aus dem Lehrbuch, ganz im Gegensatz zu seinen, die mit der Zeit zu buckligen Krakeln verkommen waren.
    Auch wenn sie es nie sagte, glaubte er doch, dass Annie die N entweder als ein weiteres Zeichen ihrer Besorgnis nachgetragen hatte - Wie können Sie sagen, dass ich grausam zu Ihnen war , Paul, Sie sehen doch, wie schön ich
alle N nachgetragen habe! - oder als einen Akt der Sühne oder vielleicht als gleichsam abergläubisches Ritual: häufig genug den Verband gewechselt, genügend Waschungen, genügend N nachgetragen, und Paul würde überleben. Bourka-Bienenfrauen machen mächtigen Mojo-Zauber, Bwana, tragen alle diese viiiiiielen N nach, und alles wird wieder gut.
    So hatte sie angefangen … aber dann kam das Muss wieder. Paul kannte alle Symptome. Als sie sagte, sie würde sterben, um herauszufinden, was als Nächstes geschehen wird, da hatte sie nicht gelogen.
    Weil du weitergelebt hast, nur um herauszufinden, wie es weitergeht, das möchtest du doch damit sagen, nicht wahr?
    So verrückt es war - in seiner Absurdität sogar beschämend -, er glaubte, dass es zutraf.
    Das Muss.
    Es war etwas, was er zu seinem Verdruss in den Misery -Büchern nach Belieben erzeugen konnte, aber in seinen anderen Romanen nur per Zufall oder gar nicht. Man wusste nicht genau, wo man das Muss herbekam, aber man erkannte es immer, wenn man es gefunden hatte. Es brachte die Nadel eines internen Geigerzählers

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