Sie
sabbern. Wenn Annie mit einer Spritze, einer Flasche Betadin und einem scharfen Gegenstand ins Zimmer kam, begann Paul zu schreien. Sie hatte den Stecker des Messers in die Steckdose neben dem Rollstuhl gesteckt, und es folgte weiteres Flehen und weiteres Bitten und weitere Versprechungen, dass er brav sein würde. Als er versuchte, vor der Spritze zurückzuweichen, sagte sie ihm, er solle still sitzen bleiben und brav sein, sonst würde er das, was geschehen würde, ohne Linderung durch ein Betäubungsmittel ertragen müssen. Da er fortfuhr, winselnd und flehend vor der Spritze zurückzuweichen, schlug Annie vor, wenn er tatsächlich so empfand, dann wäre es vielleicht das Beste, wenn sie das Messer einfach an seiner Kehle ansetzte und ein Ende machte.
Da war er still gewesen und hatte sich die Injektion verabreichen lassen, und diesmal war das Betadin auf seinen linken Daumen und die Schneide des Elektromessers aufgetragen worden (als sie es einschaltete und die beiden Schneiden sich rasend schnell hin und her bewegten, spritzte das Betadin in einem Schauer kastanienfarbener
Tropfen umher, die sie gar nicht zu bemerken schien), und am Ende waren natürlich noch viel mehr rote Tropfen durch die Luft gespritzt. Denn wenn Annie sich für ein Vorgehen entschieden hatte, dann führte sie es auch aus. Annie ließ sich von Bitten nicht beirren. Annie ließ sich von Schreien nicht beirren. Annie hatte den Mut ihrer Überzeugungen.
Als sich die summende, vibrierende Klinge ins weiche Fleisch zwischen dem Zeigefinger und dem in Kürze fehlenden Daumen senkte, versicherte sie ihm wieder mit ihrer »Das tut Mama mehr weh als Paulie«-Stimme, dass sie ihn lieb hatte.
Dann, in dieser Nacht …
Du träumst nicht, Paul. Du denkst über Dinge nach, die du nicht zu denken wagst, wenn du wach bist. Also wach auf. Um Himmels willen, WACH AUF!
Er konnte nicht aufwachen.
Am Morgen hatte sie ihm den Daumen abgeschnitten und am Abend kam sie fröhlich in das Zimmer wo er in seinem Nebel von Drogen und Schmerzen saß und die verbundene linke Hand an die Brust hielt und sie hatte einen Kuchen dabei und sie sang »Happy Birthday to You« mit ihrer tonalen aber unmelodischen Stimme obwohl gar nicht sein Geburtstag war und auf dem ganzen Kuchen waren Kerzen und exakt in der Mitte in der Glasur steckte wie eine zusätzliche Kerze sein Daumen sein grauer toter Daumen dessen Nagel ein wenig unregelmäßig war weil er manchmal daran kaute wenn ihm ein Wort nicht einfiel und sie sagte Wenn Sie versprechen brav zu sein Paul dann dürfen Sie ein Stück Geburtstagskuchen essen aber Sie müssen nichts von dieser ganz besonderen Kerze essen und
daher versprach er brav zu sein weil er nicht gezwungen werden wollte von dieser besonderen Kerze zu essen aber auch weil ganz besonders weil ganz bestimmt weil Annie großartig war Annie gütig war lasst uns ihr für die Speisen danken die sie uns bescheret hat und auch dass wir nicht essen müssen girls just wanna have fun aber etwas Böses kommt daher bitte lassen Sie mich nicht meinen Daumen essen Annie die Mutter Annie die Göttin wenn Annie zugegen ist dann sollte man besser ehrlich sein denn sie weiß wann du schläfst sie weiß wann du wach bist sie weiß wenn du böse oder brav warst deshalb sei brav um Himmels willen wehe du weinst wehe du schmollst aber am allerwichtigsten wehe du schreist nicht schreien nicht schreien nicht schreien nicht.
Hatte er nicht.
Und als er nun erwachte, da geschah das mit einem Zusammenzucken, das ihm am ganzen Körper wehtat, er merkte kaum, wie fest er die Lippen zusammenpresste, um den Schrei drinnen zu behalten, wenngleich die Daumenektomie bereits mehr als einen Monat zurücklag.
Er war so sehr damit beschäftigt, nicht zu schreien, dass er einen Augenblick lang nicht einmal sah, was die Einfahrt herabfuhr, und als er es schließlich sah , da hielt er es zuerst für eine Fata Morgana.
Es war ein Auto der Polizei von Colorado.
11
Nach der Amputation seines Daumens folgte eine Zeit, während der Pauls größte Leistung, abgesehen von der Arbeit an seinem Roman, die war, seinen Kalender weiterzuführen. In dieser Hinsicht war er beinahe krankhaft geworden, manchmal verbrachte er mehr als fünf Minuten damit, benommen dazusitzen und rückwärts zu zählen, um sich zu vergewissern, dass er nicht irgendwie einen Tag vergessen hatte.
Ich werde so schlimm wie sie, dachte er einmal.
Sein Verstand entgegnete müde: Na und?
Nach dem Verlust seines Fußes war ihm
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