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Titel: Sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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angesehen, wie sie zuerst ein Grab schaufelte (dazu hatte sie fast den ganzen Tag gebraucht) und dann Bossie (die auch
ziemlich weich geworden war) hinter dem Stall hervorzog. Das hatte sie mit einer Kette bewerkstelligt, die sie an der Anhängerkupplung des Cherokee befestigt hatte. Das andere Ende der Kette hatte sie um Bossies Mitte geschlungen. Paul hatte mit sich selbst gewettet, dass Bossie in zwei Stücke reißen würde, bevor sie das Grab erreichte, aber er hatte verloren. Annie hatte die Kuh hineingeworfen und sich dann wacker darangemacht, das Grab wieder zuzuschütten, eine Aufgabe, die sie erst lange nach Einbruch der Dunkelheit vollendet hatte.
    Im Licht des eben aufgegangenen Frühlingsmondes hatte Paul gesehen, wie sie ein Kreuz auf dem Grab errichtete und dann einen Vers aus der Bibel las.
    Jetzt hielt sie dieses Kreuz wie einen Speer, die schmutzige Spitze des vertikalen Pfostens zeigte genau auf den Rücken des Polizisten.
    »Hinter Ihnen! Passen Sie auf!«, kreischte Paul, obwohl er wusste, dass es zu spät war.
    Mit einem dünnen, heulenden Schrei stieß Annie dem Polizisten Bossies Kreuz in den Rücken.
    »ACH!«, sagte der Polizist und ging langsam auf den Rasen, den durchbohrten Rücken nach hinten gekrümmt und den Bauch nach vorn gewölbt. Sein Gesicht war das Gesicht eines Mannes, der entweder versucht, einen Nierenstein auszuscheiden, oder der einen furchtbaren Gasangriff erleidet. Das Kreuz begann herunterzuhängen, während der Polizist auf das Fenster zugetaumelt kam, hinter dem Paul saß, sein graues, kränkliches Gesicht wurde von den Scherben der zerbrochenen Glasscheibe eingerahmt. Der Polizist streckte langsam beide Hände über die Schultern. Für Paul sah es aus, als würde er verzweifelt versuchen,
sich an einer Stelle zu kratzen, die er nicht ganz erreichen konnte.
    Annie war von dem Lawnboy-Rasenmäher abgestiegen und hatte wie erstarrt dagestanden, die gefalteten Finger auf die Wölbungen ihrer Brüste gepresst. Jetzt schnellte sie nach vorn und riss das Kreuz aus dem Rücken des Polizisten.
    Er drehte sich zu ihr um und tastete nach seiner Dienstwaffe, und Annie stieß ihm die Spitze des Holzkreuzes tief in den Bauch.
    »OCH!«, sagte der Polizist diesmal, sank auf die Knie und umklammerte seinen Bauch. Als er sich vornüberbeugte, konnte Paul den Riss in dem braunen Uniformhemd sehen, wo sich der Pfahl beim ersten Mal hineingebohrt hatte.
    Annie zog das Kreuz wieder heraus - die scharfe Spitze war abgebrochen, zurück blieb ein gezackter, gesplitterter Stumpf - und stieß es ihm zwischen die Schulterblätter. Sie sah aus wie eine Frau, die einen Vampir zu töten versucht. Die beiden ersten Hiebe waren vielleicht nicht tief genug eingedrungen, um großen Schaden anzurichten, aber dieses Mal bohrte sich der Pfahl des Kreuzes mindestens sieben Zentimeter in den Rücken des knienden Polizisten und nagelte ihn flach auf den Boden.
    »SO!«, schrie Annie, während sie Bossies Ehrenmal aus seinem Rücken wand. »WIE GEFÄLLT DIR DAS, DU ALTER SCHMUTZFINK?«
    »Annie, aufhören!«, brüllte Paul.
    Sie sah zu ihm auf, ihre dunklen Augen funkelten wie Münzen, das Haar hing wirr und zerzaust um ihr Gesicht, die Mundwinkel hatte sie zu dem fröhlichen Grinsen einer
Irren hochgezogen, die wenigstens für den Augenblick alle Hemmungen abgestreift hat. Dann sah sie wieder auf den Polizisten hinab.
    »DA!«, schrie sie und trieb das Kreuz wieder in seinen Rücken. Und in die Gesäßbacken. Und in den Oberschenkel. Und in den Hals. Und zwischen die Beine. Sie stieß den Pfahl ein halbes Dutzend Mal auf ihn nieder, und jedes Mal rief sie: »DA!« Dann splitterte der Pflock des Kreuzes.
    »Da«, sagte sie fast im Plauderton und ging in die Richtung zurück, aus der sie herbeigerannt war. Kurz bevor sie aus Pauls Sichtbereich verschwand, warf sie das blutige Kreuz weg, als würde sie sich gar nicht mehr dafür interessieren.

14
    Paul legte die Hände auf die Räder des Rollstuhls; er war sich nicht sicher, wohin er wollte und was er anfangen wollte, wenn er dort war - vielleicht in die Küche, ein Messer holen? Nicht um zu versuchen, sie zu töten, o nein; sie würde einen Blick auf das Messer werfen und dann in den Schuppen gehen, um ihre.30-30er Winchester zu holen. Nicht um sie zu töten, sondern um sich selbst vor ihrer Rache zu bewahren, indem er sich die Pulsadern aufschnitt. Er wusste nicht, ob das seine Absicht gewesen war oder nicht, aber es schien eine verdammt gute Idee zu sein,

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