Sie
Kleenextücher unter das Abfallpapier steckte. Er rangierte den Rollstuhl wieder unter das Fenster und spannte ein Blatt Papier in die Royal ein.
Und übrigens, Paulie, ragt die Stoßstange deines Autos schon aus dem Schnee heraus? Ragt sie bereits heraus und blitzt fröhlich in der Sonne und wartet nur darauf, dass jemand vorbeikommt und sie sieht, während du hier sitzt und deine möglicherweise letzte Chance vertust?
Er betrachtete zweifelnd das leere Blatt in der Maschine.
Ich werde jetzt sowieso nicht schreiben können. Dieser Gedanke hat alles verdorben.
Aber irgendwie hatte nichts jemals das Schreiben verdorben. Es konnte verdorben werden, das wusste er, aber trotz der angeblichen Empfindsamkeit kreativer Tätigkeit war sie stets das zäheste und beständigste Ding in seinem Leben gewesen - nichts hatte diesen verrückten Brunnen der Träume jemals vergiften können: kein Alkohol, keine Drogen, keine Schmerzen. Zu diesem Brunnen floh er jetzt wie ein durstendes Tier, das in der Dämmerung ein Wasserloch gefunden hat, und er trank daraus; was bedeutet, er fand das Loch im Papier und fiel voller Dankbarkeit hindurch. Als Annie um Viertel vor sechs zurückkam, hatte er fast fünf Seiten geschrieben.
12
In den nächsten drei Wochen fühlte Paul Sheldon sich von einem seltsamen elektrifizierten Frieden umgeben. Sein Mund war immer trocken. Alle Geräusche schienen zu laut zu sein. Es gab Tage, da glaubte er, er könnte Löffel verbiegen, indem er sie nur ansah. An anderen Tagen war ihm zumute, als müsste er hysterisch weinen.
Außerhalb davon, unabhängig von der Atmosphäre und losgelöst von dem schlimmen, zum Wahnsinn treibenden Jucken seiner verheilenden Beine, ging seine gelassene Tätigkeit, seine Arbeit, weiter. Der Stapel Papier rechts neben der Royal wurde kontinuierlich größer. Vor diesem seltsamen Erlebnis hatte er vier Seiten pro Tag als seinen maximalen Ausstoß betrachtet (bei Schnelle Autos waren es gewöhnlich nur drei gewesen - an vielen Tagen sogar nur zwei -, bevor er noch einmal einen Endspurt hinlegte). Aber während dieser dreiwöchigen elektrifizierten Periode, die mit dem Regenunwetter am 15. April ihr Ende nahm, schaffte Paul im Durchschnitt zwölf Manuskriptseiten am Tag - sieben am Morgen, fünf weitere im Verlauf seiner abendlichen Sitzung. Wenn jemand in seinem früheren Leben (denn als solches betrachtete er es inzwischen, ohne sich selbst darüber klar zu werden) ihm gesagt hätte, dass er mit einer solchen Geschwindigkeit arbeiten konnte, dann hätte er gelacht. Als der Regen einsetzte, hatte er zweihundertsiebenundsechzig Seiten von Miserys Rückkehr vollendet - sicher, in der ersten Fassung, aber er hatte alles noch einmal überflogen und war zu der Erkenntnis gekommen, dass es für eine erste Version überraschend gelungen war.
Ein Grund dafür war, dass er ein erstaunlich diszipliniertes Leben führte. Keine nächtelangen Zechtouren durch die Bars, gefolgt von Tagen, an denen er Kaffee und Orangensaft trank und Vitamin-B-Tabletten verschlang (Tage, an denen er sich mit Grausen abgewendet hatte, wenn er die Schreibmaschine nur ansah). Am nächsten Morgen kein Erwachen mehr neben einer Blondine oder einer Rothaarigen, die er während der Nacht irgendwo aufgerissen
hatte - ein Mädchen, das um Mitternacht für gewöhnlich wie eine Königin aussah und wie ein Gnom um zehn Uhr am nächsten Morgen. Keine Zigaretten mehr. Einmal hatte er sie mit schüchterner, zaghafter Stimme danach gefragt, und sie hatte ihn mit einem derart dunklen Blick angesehen, dass er sie auf der Stelle gebeten hatte, seine Frage zu vergessen. Er war Herr Saubermann. Keine schlechten Gewohnheiten (abgesehen natürlich von seiner Codeinsucht, dagegen haben wir immer noch nichts unternommen, nicht wahr, Paulie?), keinerlei Ablenkungen. Hier bin ich, hatte er einmal gedacht, der einzige drogensüchtige Einsiedler der Welt. Aufstehen um sieben. Danach zwei Novril mit Orangensaft. Frühstück um acht, an Monsieurs Bett. Ein einzelnes Ei, pochiert oder Rührei, an drei Tagen in der Woche. An den anderen vier Tagen ballaststoffreiche Frühstücksflocken. Dann in den Rollstuhl. Rüber zum Fenster. Das Loch im Papier finden. Ins 19. Jahrhundert fallen, als Männer noch Männer waren und die Frauen Reifröcke trugen. Mittagessen. Mittagsschläfchen. Wieder aufstehen, manchmal zum Korrigieren, manchmal nur, um zu lesen. Sie besaß alles, was Somerset Maugham je geschrieben hatte (einmal fragte Paul sich
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