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Titel: Sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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wurden braune Flecken sichtbar. Paul verschanzte sich hinter seiner Arbeit und versuchte, nicht an sein Auto zu denken, dessen Entdeckung schon lange überfällig war. Seine Arbeit litt nicht darunter, aber seine Stimmung; ihm war mehr und mehr zumute, als lebte er in einer Wolkenkammer und atmete eine elektrisch aufgeladene
Atmosphäre ein. Wann immer der Gedanke an den Camaro sich in sein Denken schlich, rief er sofort die Gehirnpolizei und ließ den Gedanken in Handschellen und Fußfesseln abführen. Das Problem war, das Biest rückte immer wieder aus und kam zu ihm zurück, in der einen oder anderen Form.
    Eines Nachts träumte er, dass Mr. Rancho Grande auf Annies Anwesen zurückkehrte. Er stieg aus seinem gepflegten Chevrolet Bel Air aus und hielt einen Teil der Stoßstange des Camaro in einer, das Lenkrad in der anderen Hand. Gehört das Ihnen?, fragte er Annie in seinem Traum.
    Paul war nicht gerade vergnügt erwacht.
    Annie dagegen war nie in besserer Stimmung gewesen als während dieser sonnigen Vorfrühlingswoche. Sie machte sauber; sie bereitete ambitionierte Mahlzeiten (wenngleich alles, was sie kochte, auf seltsame Weise industriell schmeckte, als hätte das jahrelange Essen in Krankenhauskantinen irgendwie jede Kochkunst korrumpiert, die sie einst beherrscht haben mochte); jeden Nachmittag wickelte sie Paul in eine dicke blaue Decke, setzte ihm eine grüne Jägermütze auf und rollte ihn auf die rückwärtige Veranda hinaus.
    Bei solchen Gelegenheiten nahm er stets ein Buch von Maugham mit, las aber selten darin - draußen zu sein war ein solch grandioses Erlebnis, dass er sich kaum auf andere Dinge konzentrieren konnte. Er saß meistens nur da und atmete die reine, klare Luft anstelle der abgestandenen und schalen im Schlafzimmer ein, wo immer der untergründige Geruch von Krankheit mitschwang, lauschte dem Tropfen der Eiszapfen und sah zu, wie sich die Schatten der Wolken langsam über die tauenden Felder wälzten. Das war irgendwie das Beste von allem.

    Annie sang mit ihrer ebenmäßigen, aber irgendwie unmelodischen Stimme. Sie kicherte wie ein Kind über die Witze in M *A *S *H und WKRP , besonders über diejenigen, die ein wenig geschmacklos waren (und im Falle von WKRP waren das fast alle). Sie trug unermüdlich die N nach, während Paul Kapitel 9 und 10 fertig schrieb.
    Der Morgen des Fünfzehnten dämmerte windig und voll düsterer Wolken, und Annie veränderte sich. Vielleicht, dachte Paul, lag es am fallenden Barometer. Diese Erklärung war so gut wie jede andere.
    Sie kam erst um neun Uhr mit seiner Medizin, und zu dem Zeitpunkt brauchte er sie wirklich dringend - so dringend, dass er schon überlegt hatte, ob er auf seinen Vorrat zurückgreifen sollte. Es gab kein Frühstück. Nur die Tabletten. Als sie hereinkam, hatte sie noch den rosafarbenen gesteppten Morgenmantel an. Mit zunehmendem Unbehagen stellte er fest, dass sie an Wangen und Unterarmen rote Male wie Striemen hatte. Er bemerkte klebrige Spritzer von Essensresten auf dem Morgenmantel, und sie hatte offenbar nur einen ihrer Hausschuhe gefunden. Tock-schlurf, machten Annies Füße, als sie sich ihm näherte. Tock-schlurf, tock-schlurf, tock-schlurf. Ihre Haare hingen ihr ins Gesicht. Ihre Augen waren stumpf.
    »Hier.« Sie warf die Tabletten nach ihm. Auch auf ihren Händen hatte sie Spuren verschiedener klebriger Substanzen. Rotes Zeug, braunes Zeug, zähes weißes Zeug. Paul hatte keine Ahnung, worum es sich handeln konnte. Er war sich nicht sicher, ob er es wissen wollte. Die Tabletten landeten auf seiner Brust und fielen ihm in den Schoß. Sie wandte sich zum Gehen. Tock-schlurf, tock-schlurf, tock-schlurf.

    »Annie?«
    Sie blieb stehen, drehte sich aber nicht um. Auf diese Weise sah sie größer aus, ihre Schultern füllten den rosa Morgenmantel aus, ihr Haar glich einem zerbeulten Helm. Sie sah wie eine Piltdown-Frau aus, die aus ihrer Höhle herausglotzt.
    »Annie, sind Sie in Ordnung?«
    »Nein«, sagte sie gleichgültig und drehte sich um. Sie sah ihn mit dümmlichem Gesichtsausdruck an, während sie die Oberlippe zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand nahm. Sie zog sie heraus und drehte sie, gleichzeitig kniff sie zu. Blut quoll zwischen Zahnfleisch und Lippe hervor und lief ihr dann am Kinn hinab. Sie drehte sich um und entfernte sich ohne ein weiteres Wort, bevor sein fassungsloser Verstand glauben konnte, dass er sie das tatsächlich hatte tun sehen. Sie schloss die Tür … und sperrte sie ab. Er hörte

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