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Titel: Sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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mürrisch, ob sie John Fowles’ ersten Roman im Regal stehen hätte, kam aber zu der Überzeugung, dass es vielleicht besser war, nicht zu fragen), und Paul begann sich durch die über zwanzig Bände von Maughams Œuvre zu arbeiten, wobei ihn das feine Gespür des Mannes für Geschichten faszinierte. Im Lauf der Jahre hatte Paul sich mehr und mehr mit der Erkenntnis abgefunden, dass er Geschichten nicht mehr so lesen konnte wie damals, als er noch ein Kind gewesen war; als er selbst Schriftsteller geworden war, hatte
ihn das zum analytischen Lesen verdammt. Aber Maugham verführte ihn erst und machte ihn dann wieder zum Kind, und das war herrlich. Um fünf Uhr servierte sie ihm ein leichtes Abendessen, und um sieben rollte sie das Schwarz-Weiß-Fernsehgerät herein, und sie sahen sich gemeinsam M *A *S *H und WKRP in Cincinnati an. Wenn das vorbei war, schrieb Paul wieder. Wenn er fertig war, rollte er den Rollstuhl langsam zum Bett hinüber (mittlerweile hätte er es deutlich schneller gekonnt, aber das sollte Annie nicht wissen). Das hörte sie, kam herein und half ihm ins Bett. Wieder Medizin. Bumm. Er schlief auf der Stelle ein. Und der nächste Tag verlief ganz genauso. Und der nächste. Und der nächste.
    Dieser solide Lebenswandel war ein Grund für seine Produktivität, aber Annie selbst war ein noch größerer. Immerhin war es ihr zögernder Vorschlag mit dem Bienenstich gewesen, der das Buch geformt und ihm Dringlichkeit verliehen hatte, als Paul gedacht hatte, er könnte bei Misery niemals wieder so etwas wie Dringlichkeit empfinden.
    Er war sich von Anfang an in einem sicher gewesen: Eigentlich gab es kein Miserys Rückkehr . Seine Aufmerksamkeit war lediglich darauf konzentriert gewesen, das Miststück aus dem Grab herauszubekommen, ohne zu betrügen, bevor Annie beschließen würde, ihm zu einer Inspiration zu verhelfen, indem sie ihm mit einer Handvoll von Ginsu-Messern einen Einlauf verpasste. Nebensächliche Fragen wie die, wovon das verdammte Buch handeln sollte, mussten warten.
    In den zwei Tagen, nachdem Annie in die Stadt gefahren war, um ihre Steuern zu bezahlen, hatte Paul versucht zu
vergessen, wie er versagt und diese vielleicht einmalige Gelegenheit zur Flucht nicht beim Schopf ergriffen hatte, und hatte sich stattdessen darauf konzentriert, Misery in Mrs. Ramages Kate zu bringen. Es hatte keinen Sinn, sie zu Geoffrey zu bringen. Die Diener - allen voran der schwatzhafte Butler Tyler - hätten sie gesehen und Gerüchte darüber verbreitet. Darüber hinaus musste er den völligen Gedächtnisverlust als Folge des Schocks, lebendig begraben zu sein, glaubhaft machen. Gedächtnisverlust? Scheiße, sie konnte kaum sprechen. Eine gewisse Erleichterung, wenn man bedachte, was Misery sonst so alles daherplapperte.
    Also - was kam als Nächstes? Das Miststück war aus dem Grab befreit, aber wo blieb die verdammte Story? Sollten Geoffrey und Mrs. Ramage Ian erzählen, dass Misery noch am Leben war? Paul war dagegen, aber er war sich nicht sicher - sich nicht sicher zu sein , das wusste er, war eine trostlose Ecke des Fegefeuers für Schriftsteller, die mit großer Geschwindigkeit irgendetwas daherschrieben, ohne auch nur den blassesten Schimmer zu haben, wohin das führen sollte.
    Nicht Ian, dachte er und sah zum Stall hinüber. Nicht Ian, noch nicht. Zuerst dem Doktor. Dieses alte Arschloch mit den vielen N im Namen. Shinebone.
    Der Gedanke an den Doktor rief ihm Annies Bemerkung über Bienenstiche ins Gedächtnis zurück, und das nicht zum ersten Mal. Sie fiel ihm in den seltsamsten Augenblicken immer wieder ein. Etwa eine von einem Dutzend Personen …
    Aber das funktionierte einfach nicht. Zwei Frauen in benachbarten Dörfern, die nichts miteinander zu tun hatten,
sollten beide in derselben seltenen Weise gegen Bienenstiche allergisch sein?
    Drei Tage nach der großen Annie-Wilkes-Steuerschuldenbegleichung hatte Paul seinen Mittagsschlaf beginnen wollen, als die Jungs in der Denkfabrik zu arbeiten anfingen, und zwar schwer. Dieses Mal war es kein Leuchtfeuer, dieses Mal war es die Explosion einer Wasserstoffbombe.
    Er richtete sich kerzengerade im Bett auf und achtete nicht auf die Schmerzen, die in seinen Beinen aufloderten.
    »Annie!«, bellte er. »Annie, kommen Sie her!«
    Er hörte, wie sie zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe heruntergestürmt kam und dann den Flur entlangrannte. Als sie hereinkam, waren ihre Augen furchtsam aufgerissen.
    »Paul! Was ist denn? Haben Sie einen Krampf?

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