Sieben
Er schien ebenso mit sich im Widerstreit zu liegen und so verwirrt zu sein wie Doyle. Eine ganze Weile rangen sie, jeder für sich, mit diesen heiklen Widersprüchen. Als die Kutsche über groben Boden ratterte, wurde Doyle aus seinen Gedanken gerissen. Larry lenkte sein Gefährt auf einen Karrenpfad, der durch ein dichtes Wäldchen führte. Als sie nach seiner Durchquerung auf eine Lichtung hinausfuhren, wurden sie von dem herzerwärmenden Anblick der Sterling 4-2-2 begrüßt, die sie in Battersea zurückgelassen hatten. Sie wartete auf einem nach Norden führenden Gleis. Aus ihrem Schornstein quoll Rauch, der Kessel war angeheizt und abfahrbereit. Hinter der Lok hingen ein voller Kohlentender und - was noch ermutigender war - ein Eisenbahnwaggon. Der Mann, der aus der Lok heraustrat, um sie in Empfang zu nehmen, war kein anderer als Barry, den Doyle zuletzt im Gefängnis von Pentonville gesehen hatte. Doch haftete ihrem Wiedersehen nichts Sentimentales an; was folgte, war verbissene, schnelle Arbeit, und man sprach kaum ein Wort. Ihre Habe wurde auf den Zug geladen, die Pferde ausgeschirrt, damit sie laufen konnten, und die Kutsche sorgfältig im Wald versteckt. Sparks und Doyle stiegen in den Waggon, und die Brüder übernahmen die Lokomotive. Kurz darauf waren sie wieder unterwegs. Die Sonne glitt langsam dem Horizont entgegen; den größten Teil der Reise nach Norden würden sie bei Nacht zurücklegen.
Obwohl spezialangefertigt, war der Waggon spartanisch eingerichtet: Vier Doppelsitze standen sich gegenüber, dazwischen waren herausnehmbare Tische angebracht, zwei Etagenbett-Schlafkojen in einem Abteil am Heck, Holzfußboden und Öllampen an den ansonsten kahlen Wänden und eine einfache Kombüse mit einem Kühlschrank, der mit Proviant für die Reise gefüllt war.
Sparks montierte einen Tisch und nahm Platz, um über einem Landkartenstapel zu brüten. Doyle setzte sich ihm gegenüber hin und nutzte die Stille, um seine medizinischen Vorräte zu ordnen sowie den Revolver zu reinigen und neu zu laden. Er gehorchte einem Instinkt und behielt die Waffe in seiner Nähe. Als eine Stunde vergangen war, kam Barry zu ihnen und servierte eine Bauernmahlzeit aus Brot, Äpfeln, Käse, gesalzenem Kohl und Rotwein. Sparks aß allein an einem Tisch, machte sich Notizen und arbeitete mit den Landkarten. Doyle saß mit Barry in der Kombüse. »Wie sind Sie rausgekommen?« fragte Doyle. »Die Bullen haben mich gehen lassen. 'ne halbe Stunde nach Ihnen.«
»Wieso?«
»Weil sie mir folgen wollten. Haben wohl gedacht, ich führ sie zu Ihnen.«
»Aber Sie haben sie abgeschüttelt.«
»Und wie.« Doyle nickte und biß in einen Apfel. Er wollte nicht allzu neugierig wirken. »Woher haben Sie gewußt, wo Sie uns treffen sollen?«
»Telegramm«, sagte Barry mit einem Nicken in Sparks' Richtung, um anzudeuten, wer es aufgegeben hatte. »Lag für mich am Güterbahnhof.«
Logisch. Sparks muß das Kabel abgeschickt haben, nach dem er heute morgen das Haus verlassen hat, dachte Doyle. Er leerte seinen Wein und schenkte sich noch ein Täßchen ein. Das Singen und Rattern der Gleise und die wärmenden Eigenschaften des Weins wirkten in seiner Verfassung wie eine angenehm stabilisierende Arznei.
»Barry«, sagte Doyle leise, ohne jedoch allzu heimlichtuerisch zu klingen, »haben Sie Alexander Sparks je gesehen?«
Barry runzelte die Stirn und schaute ihn von der Seite an. »Komische Frage.«
»Was ist an ihr komisch?«
»Das is doch der zweite Vorname vom Maestro, oder nich?« sagte Barry. Wieder deutete er mit dem Kopf in Sparks' Richtung. »Soweit ich weiß, heißt er doch Jonathan Alexander Sparks.«
In der Zuversicht, daß das Geratter des Zuges ihre Stimmen übertönen konnte, drehte Doyle Sparks beiläufig den Rücken zu, so daß er sich nun genau zwischen ihm und Barry befand. Er spürte, daß es ihm eiskalt über den Rücken lief.
»Wollen Sie damit sagen«, sagte er, »daß Jack in Ihrer Gegenwart noch nie einen Bruder namens Alexander erwähnt hat?«
»Selbst wenn«, sagte Barry. »Es hätt' nich viel zu bedeuten. Er spricht nich oft über sich. Jedenfalls nich, wenn ich dabei bin.« Barry biß in ein Stück Kautabak. »Larry is hier der Redner. Er könnt' 'nem Spiegel seinen Glanz abschwatzen und Ihnen dann den Rahmen verkaufen. 'zeihung, aber mir fällt grad ein, daß Larry auf sein Essen wartet.«
Barry tippte an seine Mütze, packte die Reste der Mahlzeit für Larry zu einem Bündel zusammen und kehrte auf die
Weitere Kostenlose Bücher