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Sieben

Sieben

Titel: Sieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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Sparks wankte leicht, als die Substanz in der Nadel rasch zur Wirkung kam. Dann stöhnte er leise auf, ein gespenstischer Ton, voll abscheulichem Appetit, der seiner Befriedigung nahekam. Sein Körper schüttelte sich in schleichender Erregung, als er sich dem verführerischen Eindringling hingab.
    Ein Morphiumderivat? dachte Doyle, der versuchte, die sichtbaren Auswirkungen der Droge zu beurteilen. Vielleicht Kokain? Trotz des Grauens, das er beobachtete, war es ihm eine wahre Freude, seine Fantasien mit einer Analyse abzulenken.
    Sparks schloß die Augen und wankte, die Wirkung des Giftes trieb ihrem berauschenden Höhepunkt entgegen. Der Augenblick seiner Verzückung schien abscheulich ausgedehnt. Als er vorbei war, faßte er den Inhalt des Päckchens peinlich genau zusammen. Bevor der Behälter in Sparks Mantel verschwand, entdeckte Doyle neben der Nadel drei kleine Phiolen mit einer Flüssigkeit. Nachdem Sparks aufgeräumt hatte, ließ er sich auf einen Stuhl sinken und stöhnte erneut unwillkürlich. Doch diesmal wurde der pure Ausdruck sinnlicher Ekstase von einem Unterton schlechten Gewissens und jämmerlichen Selbstekels im Zaume gehalten.
    Trotz seiner kürzlich erfolgten Mutmaßungen wurde Doyle fast von einem hippokratischen Impuls überwältigt, ihm mitleidig zu Hilfe zu eilen, doch der gesunde Menschenverstand ließ ihn an seinem Standort verharren. Eine heimliche Abhängigkeit von Narkotika verringerte die Möglichkeit, daß Sparks nicht recht bei Sinnen war, kaum. Im Gegenteil, sie machte sie sogar noch wahrscheinlicher. Es war nicht abzustreiten, daß Sparks sich seines Tuns schämte; er hielt es sogar vor seinen engsten Mitarbeitern geheim. Mochte Jack Sparks auch noch so ein großes Risiko für andere sein es war eindeutig, daß er für sich selbst die größte Gefahr darstellte.
    Sparks erhob sich erneut und verschwand aus Doyles Blickfeld. Wieder Geräusche. Verschlüsse klickten. Ein klimperndes Saitengezupfe. Er kam zurück und hielt eine Violine in Händen. Er prüfte den Bogen am Hals des Instruments, drehte die Wirbel und stimmte es. Schließlich lehnte er sich gegen den Rücken des Stuhls und begann zu spielen. Ein schwarzes, mißtönendes Geklimper erfüllte den Raum, aber es wies kalten und brutalen Verstand auf. Es war nicht wirklich eine Melodie und kein Beleg für ein Lied. Diese Abfolge von Noten konnte niemals auf Papier niedergelegt worden sein; sie schien eher der direkte Ausdruck einer schrecklichen Wunde: scharf, zerrissen und schartig, von Schmerz überspült. Doyle erkannte, daß dies der Klang von Sparks' wahrem Herzen war, und die Bürde, die er dem Verstand des Zuhörers auferlegte, war beinahe so schwer wie seine eigene, die er so eloquent beschrieb. Kurz darauf erreichte das Spiel eine unüberbrückbare Sackgasse. Es gab kein Crescendo, keinen Höhepunkt; es mußte ganz einfach enden. Sparks neigte den Kopf und sank erschöpft auf die Lehne des Stuhls; er ließ seine Arme sinken. Doyles Brustkorb bebte vor unterdrückter Regung; er war den Tränen nahe.
    Dann nahm Sparks die Violine langsam wieder hoch und setzte zu einem neuen Stück an, das nun sowohl kohärenten Rhythmus als auch Harmonie aufwies. Eine leise, liebliche Totenklage, mit Trauer garniert, wie das Tröpfeln eines verdammten Ozeans aus ungeweinten Tränen. Es entließ eine Vibration aus fast unerträglicher emotionaler Resonanz in die Luft. Doyle konnte Sparks' Gesicht in der Finsternis nicht erkennen, nur den graziösen Bauch des Instruments und den Umriß seines Arms, der den Bogen bewegte. Er empfand Dankbarkeit für die relative Diskretion seines Gesichtsfeldes. Er wußte, daß er - wann und durch wessen Hand auch immer sie ihrem Ende gegenüberstanden - Sparks' Totenklage lauschte.
    Das Stück endete. Viele Minuten vergingen, ohne daß Sparks sich rührte. Dann befreite er sich mit beträchtlicher Anstrengung aus der einschläfernden Umarmung des Narkotikums, verstaute das Instrument in seinem Koffer und kam langsam nach hinten. Sein Schritt war fahrig und unsicher. Die Bewegungen des Waggons warfen ihn aus dem Gleichgewicht, so daß er mehr als einmal gezwungen war, sich an die Wand zu stützen. Er blieb vor den Kojen stehen. Doyle wich vom Vorhang zurück, doch durch den Spalt konnte er sehen, daß Sparks' Oberschenkel zitterten. Er stellte ein Bein auf Doyles Koje und zog sich hoch. Dann hielt er inne und versuchte, die Balance zurückzugewinnen. Doyle sah die Spangen stumpf auf seinen Stiefeln

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