Sieben
einem Raum verbringen, der nicht größer war als ein Überseekoffer. Und so verging die Zeit. An Schlaf war nicht zu denken. Zur Ruhe kam er kaum. Doyle wagte kaum zu atmen oder einen Muskel zu rühren. Es
ist besser, er glaubt, daß ich schlafe, passiv bin und keinen Argwohn hege.
Sein Körper wurde von schmerzhafter Überempfindlichkeit geplagt. Sein Mund wurde trocken und faserig. Seine Beine fühlten sich an wie Stelzen. Jede Bewegung seiner Lider erzeugte ein Klappern, das ihm so laut vorkam wie eine Kastagnette.
Doyle hörte, daß sich im Waggon etwas rührte. Er fragte sich verzweifelt, wie spät es war, doch ein Blick auf seine Uhr war eine viel zu komplizierte Prozedur, um sie durchzuführen. Er verlagerte langsam sein Gewicht, streckte einen Arm aus und teilte die Vorhänge. Sparks saß nicht mehr am Tisch. Er war völlig aus seinem Blickwinkel verschwunden, doch aus dem begrenzten Raum, in dem Doyle sich befand, konnte man ohnehin nur die Hälfte des Waggons überblicken. Er vernahm ein Geräusch an der Tür, die zur Lok hinausführte, doch er sah nichts. Ein Riegel wurde umgelegt. Die Tür war nun verschlossen. Sparks kehrte in Doyles Blickfeld zurück und tauchte wieder unter. Wiederholt klickte Metall auf Metall. Er zog die Vorhänge der Waggonfenster zu; das mußten die Ringe an der Vorhangstange sein. Dann ging Sparks von einem Wandbeleuchtungskörper zum nächsten und drehte die Dochte der Öllampen herunter. Der Raum verdunkelte sich. Die Tür war verschlossen, das Licht gedämpft. Entweder legt er sich hin, dachte Doyle aber warum sollte er vor Barry und Larry die Tür verschließen? -, oder er bereitet die Bühne für seinen tödlichen Angriff vor.
Doyle schob den Revolver zum Rand des Vorhangs und spannte die Muskeln, doch Sparks machte keinen Schritt zum Heck des Waggons. Er ging noch immer auf und ab. Sein Schritt war rastlos, er faltete mehrmals die Hände, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, blieb stehen und drückte eine Hand fest gegen die Stirn. Dann nahm er den Schritt wieder auf. Er ringt um eine Entscheidung, dachte Doyle instinktiv, fragt sich, ob er mich umbringen soll oder nicht. Plötzlich wischte Sparks mit einer Armbewegung die Landkarten vom Tisch, zog einen kleinen Lederbehälter aus der Innentasche seines Jacketts, legte ihn auf den Tisch und öffnete ihn. Doyle sah das Glitzern von Licht auf Metall. Er gab sich alle Mühe, den Inhalt des Behälters auszumachen, doch Sparks bewegte sich zwischen ihm und dem Tisch, und das Licht im Raum war zu matt, um ihm Details zu zeigen.
Auf einmal wirbelte Sparks herum und warf einen Blick auf die Schlafkojen. Doyle widerstand dem Impuls, den Spalt zwischen den Vorhängen zu schließen. Ich liege völlig im Dunkeln, redete er sich ein, er kann mich unmöglich sehen. Doyle rührte sich nicht, seine Hand erstarrte in der Luft und berührte ganz leicht den Vorhang. Sparks schaute lange und konzentriert in seine Richtung, dann wandte er sich, dem Anschein nach zufrieden, daß er nicht beobachtet wurde, wieder um. Seine Hand bewegte sich auf die Gegenstände zu, die auf dem Tisch lagen. Doyle hörte das Klicken von Metall auf Glas. Was hatte er da in dem Päckchen?
Sparks legte sein Jackett ab und vollführte eine komplizierte Abfolge von Handlungen, die vor Doyles Blicken abgeschirmt waren. Als er sich wieder umdrehte und im Profil zu sehen war - deutlich umrissen von der hinter ihm an der Wand hängenden Lampe -, erblickte Doyle in seiner Hand eine Injektionsspritze. Sparks betätigte den Kolben. Die Nadel entsandte einen feinen Strahl in die Luft.
Gütiger Gott, dachte Doyle, er will mich mit einer tödlichen Injektion umbringen! Sein Finger verengte sich um den Abzug. Er war bereit, Sparks dort, wo er stand, niederzuschießen. Doch Sparks wandte sich der Koje nicht zu. Er legte die Spritze auf den Tisch zurück, knöpfte den linken Ärmel seines Hemdes auf und krempelte ihn bis zum Ellbogen hoch. Er band einen dünnen Bindfaden um seinen Bizeps und zog ihn mit den Zähnen fest zusammen. Er spannte und entspannte die Muskeln seines linken Arms, blähte eine Vene in der Beuge des Unterarms auf, betupfte sie mit einem Antiseptikum, nahm die Spritze vom Tisch und bohrte sie ohne Zögern in seinen Arm. Er hielt inne, holte einmal, zweimal tief Luft, drückte den Kolben dann glatt nach vorn und entleerte den Inhalt der Spritze in seinen Blutkreislauf. Er zog die leere Nadel heraus, legte sie hin und löste den Strick von seinem Arm.
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