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Sieben

Sieben

Titel: Sieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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es mit zwei Zügen. Im Spiegel über der Bar erhaschte er einen Blick auf sich selbst. Die eingefallene, beschmutzte, blutbefleckte Visage, die ihm entgegensah, ähnelte keinem menschlichen Wesen, an das er sich erinnern konnte. Schock, Erschöpfung und Kummer, dachte Doyle, haben bestimmte bedauerliche Vorteile; wenn man den Punkt erreicht hat, an dem man nicht mehr fähig ist, irgend etwas zu fühlen.
    Er öffnete die Verbindungstür und bewegte sich vorsichtig am Handlauf des Tenders in Richtung Lok. Barrys Leichnam lag auf dem Boden. Jacks Umhang diente ihm als Leichentuch. Ein Stiefel lugte darunter hervor und bewegte sich beiläufig im Rhythmus des Zuges. Larry stand an der Drosselklappe und starrte geradeaus, auf die Gleise.
    »Wir sind zehn Meilen von der Hauptstrecke entfernt«, übertönte Sparks das Brüllen der Maschine. »Das Gleis vor uns ist frei.«
    »London?« fragte Doyle.
    Sparks nickte.
    Doyle blickte über das trostlose, flauschige Moor; es wirkte fremd und unbarmherzig wie die Oberfläche des Mondes und so leblos wie der Körper unter dem Leichentuch. Der kalte Biß des Fahrtwindes, der durch die offene Lok peitschte, fühlte sich reinigend an.
    »Ich gehe rein.« Sparks begab sich zum Waggon zurück. Doyle schaufelte Kohlen aus dem Eimer ins Feuer, füllte ihn aus dem Tender wieder auf und blieb dann schweigend neben Larry stehen. Er war zum Zugreifen bereit, falls es nötig sein sollte. »Sie haben ihn nie singen hören«, sagte Larry nach einer Weile, ohne ihn anzusehen. »Nein.«
    »Der Junge konnte singen wie 'n Engel. Hatte 'ne Stimme zum ...«
    Doyle nickte. Er wartete geduldig.
    »Er hat gesagt, daß ich abhaun soll.«
    »Wann, Larry?«
    »Wir haben sie von der Ruine abgelenkt. War seine Idee. Die Hälfte von den Schweinehunden lag am Boden, bevor sie in unsere Nähe kamen. Aber 'n paar haben kehrtgemacht und sind zurückgekommen. Haben uns in die Zange genommen. War nix mehr zu machen. Er hat gesagt, hau ab. Ich hab' gemeint, kommt nich in Frage, Mann. Aber er hat gesagt, Jack braucht wenigstens einen von uns, um den Zug zu fahren. Ich hab' gesagt, dann soll er's machen. Aber er hat gemeint, er ist der Ältere; ich soll gefälligst tun, was er mir sagt.«
    »War er der Ältere?«
    »Drei Minuten. Er hat das Schießeisen behalten. Und ich bin von dem Hügel runter ...« Larry wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. »Er hat 'ne Menge von den Arschlöchern mitgenommen, was?«
    »Ja, hat er.«
    »Wir haben nämlich hin und wieder drüber gesprochen, wer von uns als erster geht. Er hat immer gesagt, er wird es sein. Barry hat nämlich immer aufs Risiko gesetzt. Und wir hatten keine Angst vorm Ende, keine Spur. Nach dem, was Mr. Sparks uns beigebracht hat, hat er immer gesagt, is der Tod vielleicht nur der Anfang von was anderem. Was meinen Sie, Chef?«
    Larry schaute ihn zum ersten Mal seit langem an.
    »Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß der Tod der Anfang von irgend etwas ist«, sagte Doyle.
    Larry nickte, dann blickte er auf den Körper seines toten Bruders unter dem flatternden Umhang.
    »Mr. Sparks sagt, Sie haben den Mann umgebracht, der ihm das angetan hat.«
    Doyle nickte.
    »Dann, Sir, bin ich ... für immer in Ihrer Schuld«, sagte Larry mit brüchiger Stimme.
    Doyle schwieg. Er war sich nicht sicher, ob er sprechen konnte. Die Zeit verging. Larry wischte sich wieder über die Augen.
    »Wenn Sie nix dagegen haben«, sagte er entschuldigend, »möchte ich jetzt ʹne Weile mit ihm allein sein.«
    »Sicher.«
    Doyle streckte eine Hand aus. Larry schüttelte sie, ohne ihn anzusehen, dann wandte er sich wieder der Drosselklappe zu. Doyle machte sich auf den Rückweg zum Waggon.
    Sparks saß am Tisch, die Brandykaraffe war offen; zwei Gläser standen bereit. Doyle nahm ihm gegenüber Platz. Sparks füllte die Gläser. Sie tranken. Die Wärme des Alkohols breitete sich wohltuend in Doyles Magen aus und entfernte ihn ein Stück von dem Grauen.
    Doyle berichtete, wie Alexander im Hof der Herberge aufgetaucht war, wie sie nach Ravenscar gelangt waren und warum es im Saal zur Konfrontation gekommen war. Sparks lauschte konzentriert seiner ausführlichen Zusammenfassung und stellte nur gelegentlich Fragen über Alexander und den Eindruck, den er von ihm gewonnen hatte. Als Doyle geendet hatte, blieben sie eine Weile schweigend sitzen.
    »Sind sie alle einfach nur verrückt?« fragte Doyle schließlich mit leiser Stimme. »Glauben sie wirklich, sie könnten dieses ... Wesen

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