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Sieben Erzaehlungen

Titel: Sieben Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dino Buzzati
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die zu entschädigen mir kaum je gelingen wird.
    Um sie leicht zu unterscheiden, legte ich ihnen Namen mit Anfangsbuchstaben alphabetischer Reihenfolge zu: Alessandro, Bartolomeo, Caio, Domenico, Ettore, Federico, Gregorio.
    Da ich nicht daran gewöhnt war, fern von zu Hause zu sein, sandte ich den ersten, Alessandro, am Abend des zweiten Reisetages zurück, als wir schon etwa achtzig Meilen zurückgelegt hatten, und um die Stetigkeit der Verbindung sicher zu stellen, am nächsten Abend den zweiten, dann den dritten, dann den vierten, einen nach dem anderen, bis zum achten Reiseabend, an welchem Gregorio aufbrach. Der erste war zu diesem Zeitpunkt noch nicht zurückgekehrt.
    Er erreichte uns am zehnten Abend, als wir in einem unbewohnten Tal das Nachtlager aufschlugen. Ich erfuhr von Alessandro, daß er die vorgesehene Reisegeschwindigkeit nicht erreicht hatte. Ich hatte gedacht, daß er, allein und auf bestem Pferde reitend, in der gleichen Zeit eine doppelt so große Strecke wie wir zurücklegen würde. Indessen erreichte er nur die anderthalbfache Geschwindigkeit. Während wir in einem Tage vierzig Meilen vordrangen, bewältigte er sechzig Meilen, doch nicht mehr. Ebenso war es bei den anderen. Bartolomeo, der am dritten Reiseabend zur Stadt aufgebrochen war, erreichte uns am fünfzehnten, Gaio, am vierten abgereist, kehrte erst am zwanzigsten zurück. Ziemlich schnell stellte ich fest, daß es genügte, die Zahl der beim Aufbruch des Boten bis dahin verstrichenen Reisetage mit fünf zu multiplizieren, um zu wissen, wann er uns von neuem erreicht haben würde.
    Indem wir uns immer weiter von der Hauptstadt entfernten, wurde die Reisestrecke der Boten jedesmal länger. Nach fünfzig Reisetagen begann der Zeitabstand zwischen der einen und der anderen Ankunft der Boten sich merkbar zu weiten. Während ich zuerst alle fünf Tage einen von ihnen am Lager ankommen sah, wurde der Abstand jetzt fünfundzwanzig Tage. Die Stimme der Heimat wurde auf diese Weise immer schwächer, ganze Wochen vergingen, ohne daß ich von ihr irgendeine Mitteilung erhalten hätte.
    Nachdem sechs Monate verstrichen waren - schon hatten wir das Fasanigebirge überstiegen - vergrößerte sich der Abstand zwischen den Ankünften der Boten auf gut vier Monate. Sie überbrachten mir nunmehr fremdartige Nachrichten, die Briefumschläge erreichten mich zerknittert, manchmal feucht und fleckig, weil der Überbringer im Freien übernachtet hatte.
    Immer weiter die Reise. Vergeblich versuchte ich mir einzureden, daß die über mir eilenden Wolken denen meiner Kindheit gleich seien, daß der Himmel der weit entfernt liegenden Stadt nicht verschieden von der mich überwölbenden blauen Kuppel sei, daß die Luft die gleiche sei, gleich der Hauch des Windes, gleich die Stimmen der Vogel. Die Wolken, der Himmel, die Luft, die Winde, die Vogel, in Wirklichkeit erschienen sie mir neu und andersartig, und ich fühlte mich fremd.
    Vorwärts, vorwärts! Landstreicher, denen wir auf den Ebenen begegneten, sagten, die Grenzen seien nicht mehr weit. Ich spornte die Meinen zur Eile an, und die entmutigten Laute verstummten auf ihren Lippen. Schon waren vier Jahre seit meiner Abreise vergangen, welch langandauernde Mühe. Die Hauptstadt, mein Haus, mein
    Vater, wie fremdartig weit waren sie zurückgewichen, kaum war es zu glauben.
    Gut zwanzig Monate des Schweigens und der Einsamkeit klafften zwischen den aufeinanderfolgenden Ankünften der Boten. Sie überbrachten mir merkwürdige, von der Zeit vergilbte Briefe, in denen ich vergessene Namen, ungewohnte Ausdrucksweisen und Meinungen fand, die zu verstehen mir nicht gelang. Während wir uns am nächsten Morgen von neuem auf den Weg machten, brach der Bote, nach einer einzigen Nacht der Ruhe, in entgegengesetzte Richtung auf, um die Briefe, die seit geraumer Zeit bereit lagen, zur Stadt zu befördern.
    Nun aber sind achteinhalb Jahre vergangen. Heute Abend speiste ich allein in meinem Zelt, als Domenico eintrat. Mühsam gelang ihm ein Lächeln, obschon er völlig erschöpft war. Seit fast sieben Jahren hatte ich ihn nicht wiedergesehen. Während dieser ganzen langen Zeit hatte er nichts anderes getan, als eilends zu reisen, durch Steppen, Wälder und Wüsten, wer weiß wie oft das Reittier wechselnd, nur um mir jenen Packen Briefe zu überbringen, die zu öffnen ich kaum mehr Lust habe. Er hat sich schon schlafen gelegt und wird noch morgen in aller Frühe zurückreisen.
    Er wird zum letzten Mal zurückreisen. In

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