Sieben Erzaehlungen
lohnt sich nicht die Mühe. Meinetwegen darfst Du nicht einmal eine Stunde verlieren. Es ist viel besser, wenn Du gleich weiterfährst. Unbedingt. Es ist Deine Pflicht ... Eine einzige Sache habe ich mir gewünscht: Dich wiederzusehen. Ich habe Dich wiedergesehen, und nun bin ich zufrieden.“
Ich rief „Gepäckträger, Gepäckträger! (ein Gepäckträger erschien unverzüglich) Drei Koffer müssen aus dem Zug geholt werden!“
„Wieso Koffer“, wiederholte die Mutter. „Eine Gelegenheit wie diese kommt nie mehr wieder. Du bist jung, Du mußt Deinen Weg gehen. Schnell, steig in den Zug ein. Geh, geh“, und lächelnd gab sie sich die größte Mühe, mich mit ihren schwachen Kräften gegen den Zug hin zu drängen. „Um Gotteswillen, mach schnell, man ist dabei die Türen zu schließen.“
Ich weiß nicht, wie es zuging, doch mit allem meinem Egoismus fand ich mich in meinem Abteil wieder, lehnte mich aus dem Fenster, gestikulierend, die letzten Grüße winkend.
Während der Zug entfloh, wurde sie bald noch kleiner, als sie wirklich war, eine winzige Figur, traurig und unbeweglich auf dem verlassenen Bahnsteig, im niederfallenden Schnee. Dann wurde sie ein schwarzer Punkt ohne Gesicht, eine kleine Ameise in der Weite des Universums, und sofort verschwand sie im Nichts. Lebe wohl.
Mit einer sich um Jahre und Jahre anhäufenden Verspätung sind wir so von neuem auf der Reise. Aber wohin? Der Abend sinkt, die Wagen sind kalt, fast niemand ist in ihnen geblieben. Hier und da, in den Ecken der dunklen Abteile sitzen einige Unbekannte mit bleichen und harten Gesichtern, frierend und schweigend.
Wohin? Wie weit noch ist die letzte Station? Kommen wir je an? Lohnt es sich, in solcher Eile den geliebten orten und Personen zu entfliehen? Wo habe ich nur die Zigaretten hingelegt? Ah, hier sind sie, in der Jackentasche. Gewiß, zurückkehren kann man nicht mehr.
Voran also, Herr Maschinist! Wie siehst Du aus, wie nennst Du dich? Ich kenne Dich nicht und habe Dich nie gesehen. Wehe, wenn Du mir nicht hilfst. Halte aus, guter Maschinist, wirf ins Feuer die letzte Kohle, bring diese alte, quiekende Baracke zum Fliegen, ich bitte Dich, schleudere sie Hals über Kopf vorwärts, damit sie wenigstens ein bißchen der Lokomotive von einst gleiche, erinnerst Du Dich?
Vorwärts, blindlings durch die Nacht. Aber im Namen Gottes, laß nicht nach, laß Dich nicht vom Schlaf übermannen. Morgen vielleicht werden wir ankommen.
DIE SIEBEN BOTEN
Aufgebrochen, um das Königreich meines Vaters zu erkunden, entfernte ich mich Tag für Tag weiter von der Stadt, und immer seltener erreichten mich Nachrichten. Ich war etwas älter als dreißig, als ich die Reise begann, und mehr als acht Jahre ununterbrochenen Weges sind seither vergangen, genau acht Jahre, sechs Monate und fünfzehn Tage. Bei der Abreise glaubte ich, die Grenzen des Reiches leicht in einigen Wochen erreichen zu können, statt dessen bin ich immer wieder neuen Volkern und Ländern begegnet, aber wo auch immer ich Menschen antraf, sprachen sie meine eigene Sprache und versicherten, meine Untertanen zu sein.
Zuweilen denke ich, der Kompaß meines Geographen müsse abgelenkt sein, und im Glauben immer nur nach Norden vorzustoßen, seien wir in Wirklichkeit vielleicht nur im Kreise gegangen, ohne je die Entfernung vergrößert zu haben, die uns von der Hauptstadt trennt. Dies könnte erklären, warum wir noch nicht die äußerste Landesgrenze erreicht haben.
Öfter jedoch quälte mich der Zweifel, ob diese Grenze überhaupt existiere, ob der Ausdehnung des Reiches irgendeine Grenze gesetzt sei und ob ich, je weiter ich auch vordringe, je das Ende erreichen werde.
Ich trat die Reise im Alter von mehr als dreißig Jahren an, zu spät vielleicht. Die Freunde, selbst die vertrauten, verlachten meinen Plan als unnütze Verschwendung der besten Jahre des Lebens, und nur wenige tatsächlich willigten ein, mitzureisen.
Obschon unbedacht, mehr, weiß Gott, als heute, beschäftigte ich mich mit der Möglichkeit, während der Reise mit meinen Lieben in Verbindung zu bleiben, und ich erwählte aus den Herren des Hofes die sieben Besten, die mir als Boten zu dienen hätten.
Ich glaubte, unerfahren, sieben Boten zu haben sei mehr als genug. Im Laufe der Zeit erkannte ich, daß es im Gegenteil lächerlich wenige waren, obschon niemand von ihnen je krank wurde, unter die Räuber fiel oder seine Reittiere einbüßte. Alle sieben haben mir mit einer Ausdauer und Ergebenheit gedient,
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