Sieben Jahre
bringen.
Wäre es nicht schön, hier zu wohnen?, fragte sie einmal. Ja, sagte ich, um ihr einen Gefallen zu tun oder vielleicht, weil ich es in diesem Moment wirklich glaubte, und vergaß, dass ich kaum französisch sprach und nie eine anständige Arbeit finden würde in dieser Stadt. Ich dachte nicht an München und nicht an die Zukunft, es war mir, als stünde die Zeit still, als gebe es nur noch das Meer und diese Stadt und die Hitze. Wenn Wind aufkam, dachte ich an Afrika. Ich hatte in einem Bildband über die Kalahari geblättert und döste vor mich hin. Ich sah weite Ebenen vor mir, in denen Tiere lebten, Herden von Tieren, die durch die Steppe zogen, schnell, aber ohne Ziel. Sie trabten, sie galoppierten, sie fraßen. Sie rannten durch die Weite, irgendwelchen unsichtbaren Pfaden folgend, von jeher immer den gleichen Pfaden. Sie kamen zu einer Wasserstelle, zu einem Weidegrund, sie verschwanden in der Ferne, der Wind verwischte ihre Spuren.
Einmal gab es wegen einer Bagatelle Streit mit Antje. Ich hatte zwei schmutzige Kaffeetassen im Spülbecken stehen lassen, und sie beklagte sich, wir benützten ihre Wohnung wie ein Hotel. Sie sei nicht das Zimmermädchen, das hinter uns herräume. Sonja war betroffen, obwohl es überhaupt keinen Grund gab. Wir versöhnten uns bald wieder mit Antje, aber die Stimmung war nicht mehr dieselbe wie vorher. Zwei Tage danach reisten wir ab.
An tje stand erst auf, als wir schon gefrühstückt hatten. Ich machte Kaffee für sie. Sonja sagte, sie gehe in die Stadt einkaufen. Antje bat Sonja, sie mitzunehmen, sie müsse kurz in der Galerie vorbeischauen und sonst noch ein paar Sachen erledigen. Ich fragte, ob sie nicht müde sei. Nein, sagte sie schroff und trank den Kaffee im Stehen.
Sophie wollte sich einen Film anschauen. Ausnahmsweise, sagte Sonja, obwohl es alles andere als eine Ausnahme war. Sonja hatte klare Vorstellungen von Kindererziehung, und obwohl sie dauernd Kompromisse machen musste, war sie nicht bereit, von ihrem Ideal abzurücken. So war Sophies Erziehung eine Aneinanderreihung von Ausnahmen. Sophie hatte gelernt, damit umzugehen. Jede ihrer Bitten endete mit dem Wort, ausnahmsweise. Und da Sonja und ich oft überarbeitet waren und vielleicht auch ein schlechtes Gewissen hatten, weil wir uns nicht genug um Sophie kümmerten, wurde ihr selten etwas verwehrt. Aber erst wenn du Mathilda gefüttert und ihr Kistchen geleert hast, sagte Sonja. Warum muss immer ich das machen, stöhnte Sophie. Du wolltest die Katze, sagte Sonja, jetzt musst du dich auch um sie kümmern.
Die beiden Frauen fuhren los. Ich legte Sophie eine DVD ein und ging in den Garten. Der Nebel hatte sich aufgelöst, und die Sonne drang durch, aber die Luft war immer noch kalt. Wir hatten einige Beete, in denen wir im Sommer Salat und Gemüse anpflanzten, aber in diesem Jahr hatte es so viel geregnet, dass wir kaum Erträge gehabt und den Garten aus Unlust vernachlässigt hatten. Die Tomaten hatte die Krautfäule zugrunde gerichtet, die Früchte hatten sich schwarz verfärbt und fielen bei der kleinsten Berührung ab und zerplatzten. Ein paar winzige Kohlköpfe verschwanden fast im wuchernden Gras, die Gurkenpflanze, die ich an einem Holzgerüst hochgezogen hatte, war vom Mehltau befallen und vertrocknet. Ich riss alles aus und warf es in die Biotonne. Ich wollte die Beete umstechen, aber der Boden war gefroren. Ich fing an, das Laub zusammenzurechen, das von einem großen Zuckerahorn auf dem Nachbargrundstück auf unser kleines Stück Rasen und auf den Vorplatz gefallen war. Sophie kam irgendwann aus dem Haus und schaute mir eine Weile zu, dann verschwand sie wieder. Kurz vor zwölf kamen Antje und Sonja zurück mit vollen Einkaufstaschen. Eine halbe Stunde später rief Sonja mich zum Mittagessen.
Nach dem Essen zogen wir unsere Mäntel an und setzten uns nach draußen, um Kaffee zu trinken. Sonja sprach mit Antje über die Zeit ihres Praktikums. Antje sagte, Marseille habe sich verändert, sogar seit Sonjas letztem Aufenthalt. Die Stadt sei viel gepflegter als früher, aber auch ein bisschen langweilig. Mir ist es recht, sagte sie, ich bin ja auch nicht mehr zwanzig. Sonja sagte, sie habe damals Mühe gehabt, sich einzuleben, wenn Antje ihr nicht ein paar Leute vorgestellt hätte, wäre sie wohl die ganzen sechs Monate lang allein gewesen. Du hast doch dauernd Besuch gehabt, sagte Antje. Das ist nicht wahr, sagte Sonja, ich habe nur gearbeitet. Trotzdem sei es vielleicht die schönste Zeit ihres
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