Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sieben Jahre

Sieben Jahre

Titel: Sieben Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stamm
Vom Netzwerk:
geworden, und wir aßen im Biergarten des Olympiadorfs, danach spazierten wir durch den Park. Lange saßen wir am See und redeten über den Wettbewerbsbeitrag, an dem Sonja arbeitete. Sie hatte mich nicht mehr gefragt, ob ich mitarbeiten wollte, und mir war es recht. Das Projekt interessierte mich nicht, Sonjas Ideen waren mir zu praktisch, und ich hörte ihr nicht zu und schaute den Joggerinnen nach, die alleine oder in kleinen Gruppen vorbeirannten, und dachte an anderes. Als Sonja eine kurze Pause machte, fragte ich sie, ob wir denn nun eigentlich zusammen seien oder nicht. Natürlich sind wir zusammen, sagte sie erstaunt. Ich sagte, sie habe mich am Samstag wie einen Fremden behandelt. Sie sagte, sie sei müde gewesen. Außerdem wüssten ihre Mitbewohnerinnen noch nichts von unserer Beziehung. Schämst du dich für mich? Ach was, sagte Sonja und schüttelte irritiert den Kopf.
    Sie kam an diesem Abend mit in meinen Bungalow, und wir schliefen miteinander, aber ich spürte, dass sie mir einen Gefallen tun wollte. Das Bett über der Treppe war nicht besonders stabil und knarrte so laut, dass Sonja schließlich fragte, ob ich sicher sei, dass es halte. Meinst du, deine Nachbarn sind zu Hause? Und wenn, sagte ich. Ich habe ihnen oft genug zuhören müssen. Aber der Gedanke, dass jemand uns hören könnte, brachte Sonja so sehr aus der Fassung, dass sie sich verkrampfte und mich festhielt. Nicht so wild, sagte sie, sonst stürzen wir noch ab. Sie küsste mich ein paar Mal unaufmerksam, dann sagte sie, sie gehe heim, sie habe am nächsten Morgen einen Termin, den sie nicht verpassen dürfe.
    Wir sahen uns nun regelmäßig. Sonja lud mich in ihre Wohnung ein und erzählte Birgit und Tanja, dass wir zusammen seien. Sie tat es auf eine so förmliche Art, dass es mir vorkam, als stelle sie mich ihren Eltern vor. Trotzdem hatte ich nicht wirklich das Gefühl, Sonja sei meine Freundin. Zwar durfte ich jetzt manchmal bei ihr übernachten, aber wenn wir uns liebten, spürte ich ihre Befangenheit. Das kleinste Geräusch ließ sie zusammenzucken. Was wir tun, ist kein Verbrechen, sagte ich. Du verstehst das nicht, sagte Sonja.
    Mein Praktikum fing im September an, Sonjas im Oktober. Nachdem sie ihren Wettbewerbsbeitrag eingereicht hatte, blieben uns noch ein paar freie Tage, und wir fuhren nach Stuttgart, um uns die Weißenhofsiedlung anzuschauen. Sonja hatte während des Studiums eine Exkursion dorthin mitgemacht, aber ich war damals etwas knapp bei Kasse gewesen und hatte nicht fahren können. Sie führte mich herum wie eine Reiseführerin, sprach von den stereometrischen Grundfiguren und über die Ornamentlosigkeit als Zeichen geistiger Kraft. Mir schienen die Gebäude oberflächlich und uninteressant. Sie kamen mir alterslos vor in ihrer naiven Funktionalität. Wohnen heißt nicht einfach nur essen, schlafen, Zeitung lesen, sagte ich. Ein Wohnraum ist zuallererst ein Zufluchtsort. Er muss Schutz bieten vor dem Wetter, vor der Sonne, vor feindlichen Menschen und wilden Tieren. Sonja lachte und sagte, dann könne ich ja gleich in eine Höhle ziehen.
    Wir übernachteten in einem einfachen Hotel. Im Treppenhaus gab es einen Getränkeautomaten, und wir nahmen zwei Flaschen Bier mit aufs Zimmer. Der Boden im Flur war mit Linoleum bedeckt, aber im Zimmer gab es einen Teppichboden, und an den Fenstern hingen dicke Vorhänge, die nach Zigarettenrauch rochen. Wir setzten uns nebeneinander auf das Bett und tranken unser Bier. Plötzlich fing Sonja an zu lachen. Ich fragte sie, was los sei. Sie sagte, dieser Ort sei so elend, dass man nur weinen könne oder lachen. Und sie ziehe Letzteres vor. In dieser Nacht liebten wir uns. Sonja war viel freier als in München, vielleicht war es die Hässlichkeit der Umgebung, die entspannend auf sie wirkte. Als ich später am Fenster stand und rauchte, kam sie zu mir und nahm mir die Zigarette aus der Hand und nahm einen Zug. Du siehst hübsch aus, wenn du rauchst, sagte ich und fasste sie um die Taille. Küss mich. Alle Jahre mal, sagte sie und schmiegte sich an mich.
    Sonja bestand darauf, das Zimmer zu bezahlen, ihr Vater hatte ihr zum Abschluss Geld geschenkt. Aber bestimmt nicht, um dir einen Liebhaber zu halten, sagte ich. Weiß er überhaupt, dass es mich gibt? Sonja zögerte, und ich merkte, dass ihr das Thema unangenehm war. Ich hatte meinen Eltern von Sonja erzählt, allerdings nur beiläufig, und sie hatten keine weiteren Fragen gestellt.
    Dann fing mein Praktikum an, und jetzt war ich

Weitere Kostenlose Bücher