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Sieben Jahre

Sieben Jahre

Titel: Sieben Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stamm
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Lebens gewesen. Albert habe sie alles machen lassen und sie habe unglaublich viel gelernt. Weißt du noch, dieser alberne Kerl, der dich besucht hat?, sagte Antje. Der mit den Kuheutern. Jakob?, fragte ich. Der hat mich nicht besucht, sagte Sonja, er ist einfach aufgetaucht. Immerhin hat er bei uns gewohnt, sagte Antje. Den hast du doch so furchtbar gefunden, sagte ich. Er hat mir ein paar Mal geschrieben, sagte Sonja. Die Adresse hatte er von meinen Eltern. Er hat sie einfach angerufen und gesagt, er sei ein alter Freund, und sie hatten keinen Grund, ihm nicht zu glauben.
    Jakob hatte Sonja lange, verworrene Briefe geschrieben, die sie nicht beantwortet hatte. Dann, im Frühling, kurz vor ihrer Rückkehr nach München, war er nach Marseille gefahren und hatte an Antjes Tür geklingelt.
    Und ich habe ihn reingelassen, sagte Antje. Ich konnte ja nicht wissen, dass er und Sonja sich kaum kannten. Als sie am Abend nach Hause kam, hat sie sich schön gewundert. Und warum habt ihr ihn nicht gleich wieder vor die Tür gesetzt?, fragte ich. Er ist ja nicht unsympathisch gewesen, sagte Antje. Außerdem hat er für uns gekocht.
    Jakob hatte Weißwürste mitgebracht vom Fleischer seines Dorfes und Brezen und Bier, ein kleines Fass von einer Brauerei aus seiner Gegend. Sonja lachte, Antje habe ein paar Freunde eingeladen und sie hätten ein richtiges Bierfest gefeiert, mitten in Marseille. Wir haben den Franzosen deutsche Lieder beigebracht, sagte Antje. Das Ännchen von Tharau. Weißt du noch? Sie begann die Melodie zu summen, und Sonja sprach den Text mit.
     
    Würdest du gleich einmal von mir getrennt,
Lebtest, da wo man die Sonne kaum kennt;
Ich will dir folgen durch Wälder, durch Meer,
Eisen und Kerker und feindliches Heer.
     
    Deutsches Liedgut, sagte Antje lachend. Danach konnten wir ihn natürlich nicht mehr rauswerfen.
    Jakob blieb eine ganze Woche bei den Frauen. Er kochte jeden Abend für sie und unterhielt sie mit seinen skurrilen Geschichten. Was haben wir gelacht, sagt Antje. In seinem Dorf müssen lauter Verrückte leben. Er konnte auch anders sein, sagte Sonja. Er hat allen Ernstes versucht, mich zum Katholizismus zu bekehren. Wir haben nächtelang diskutiert. Davon hast du mir nie erzählt, sagte ich. Du erzählst mir ja auch nicht alles, sagte Sonja. Antje warf mir einen unfreundlichen Blick zu. Wir schwiegen. Dann erzählte Sonja, wie Jakob ihr eines Nachts seine Liebe gestanden habe. Im Ernst?, sagte ich und musste lachen. Das war überhaupt nicht komisch, sagte Sonja. Er hat geweint, als ich ihm gesagt habe, dass ich dich heiraten würde. Aber dann hat er sich wie ein Gentleman benommen. Er schreibt mir heute noch zu jedem Geburtstag eine Karte. Und auch sonst schreiben wir uns hin und wieder eine E-Mail. Jakob lebe immer noch allein, sagte sie. Er sei Tierarzt und wohne im Haus seiner Eltern im Bayerischen Wald. Als es uns damals so schlecht gegangen sei, habe sie oft mit ihm telefoniert und er habe ihr viel geholfen. Er hat mir geraten, bei dir zu bleiben, sagte sie. Wegen Sophie. Er hat großen Respekt vor der Institution der Ehe und vor der Familie. Ich wollte etwas erwidern, aber als ich den Ausdruck in Sonjas Gesicht sah, sagte ich nur, ich ginge spazieren.
    Ich ging durch das Dorf hinunter zum See. Im Park der Akademie setzte ich mich ans Ufer. Ich saß im Schatten eines Baumes und schaute hinaus aufs Wasser. Ein Dampfer fuhr vorbei, es musste eine Sonderfahrt sein, der Kursbetrieb war schon vor einem Monat eingestellt worden. An Deck war niemand zu sehen, aber hinter den getönten Scheiben sah ich schemenhafte Gestalten.
    Auch Sonja und ich hatten bei unserer Hochzeit eine Schifffahrt gemacht. Ihr Vater hatte alles bezahlt. Es waren wohl achtzig Gäste beim Fest gewesen, viel Familie von Sonjas Seite und Freunde und Leute, die in irgendeiner Beziehung zu ihr und ihren Eltern standen. Ich hätte lieber einen bescheideneren Rahmen gehabt, aber Sonja sagte, ihre Eltern wären enttäuscht, wenn wir keine richtige Feier machten. Wir hatten fast Streit bekommen, als ich sagte, es sei schließlich unsere Hochzeit. Sonja hatte mir widersprochen. Eine Hochzeit sei ein gesellschaftlicher Anlass, hatte sie gesagt. Und das war sie dann auch gewesen. Wäre ich nicht der Bräutigam gewesen, ich hätte die Feier wohl schön gefunden. Alles war perfekt organisiert, das Essen hervorragend und die Reden witzig und dem Anlass angemessen. Nur die meines Vaters war ein wenig peinlich. Er war es nicht gewohnt, vor

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