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Sieben Jahre

Sieben Jahre

Titel: Sieben Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stamm
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ich mein Bett jetzt wieder für mich, sagte sie. Sie schaute Sonja an. Oder etwa nicht? Niemand sagte etwas, und ich glaube, selbst Antje war die Stille peinlich. Vielleicht kannten Sonja und ich uns schon zu gut, um von einem Tag auf den anderen ein Liebespaar zu werden. Beim Baden hatte ich mich oft genug in ihrer Gegenwart umgezogen, aber wenn ich jetzt daran dachte, mit ihr im selben Bett zu schlafen, empfand ich Scheu. Ihr schien es nicht anders zu gehen. Sie sagte mit leiser, unsicherer Stimme, wenn es Antje nichts ausmache, würde sie gerne bei ihr im Zimmer bleiben. Sie stand auf, küsste mich, wie zur Entschädigung, hastig auf den Mund und verschwand mit schnellen Schritten in der Wohnung. Als sie nach einer Weile noch nicht zurückgekommen war, folgte ich ihr hinein. Ich fand sie in Antjes Zimmer. Sie saß auf dem Bett und weinte. Ich setzte mich neben sie und umarmte sie und fragte, was sie habe. Ich bin so glücklich, sagte sie, aber ich schäme mich. Vor mir? Nein, Dummkopf, nicht vor dir, vor Antje. Ich war ziemlich sicher, dass sie sich auch vor mir schämte und vielleicht sogar vor sich selbst. Das macht doch nichts, sagte ich. Wir haben alle Zeit der Welt.
     
    Am Morgen war Sonja wie immer. Als ich in die Küche kam, war sie dabei, Kaffee zu kochen. Ich fasste sie um die Taille, und sie küsste mich, als seien wir schon seit Jahren ein Paar, dann drehte sie sich weg und nahm Milch und Butter aus dem Kühlschrank. Heute besuche ich die Architekturbüros, sagte sie gutgelaunt, willst du ein Glas Orangensaft? Ich fragte, ob sie nicht erst anrufen wolle, um Termine zu vereinbaren, aber sie schüttelte den Kopf. Am besten sei es, wenn einen die Leute sähen, dann falle es ihnen schwerer, einen abzuwimmeln. Du meinst, deine Schönheit wird sie überzeugen? Sie schaute mich strafend an. Das ist gemein, ich kann nichts für mein Aussehen. Ich sagte, es könnte schlimmer sein, und legte ihr die Hände auf die Schultern und zog sie an mich, und jetzt umarmte auch sie mich und küsste mich richtig. Sie fragte, ob ich gut geschlafen habe. Ich sagte, ich habe von dir geträumt. Das ist nicht wahr, gib es zu.
    Sonja klapperte den ganzen Tag die Architekturbüros der Stadt ab. Ich begleitete sie und wartete in der Nähe in einem Bistro, trank Kaffee und las, bis sie wieder herauskam. Sie schüttelte den Kopf und zog noch vor der Tür ihre Liste hervor, strich die Adresse durch und suchte auf dem Plan die nächste heraus. Die vielen Absagen schienen ihrem Selbstbewusstsein nichts anzuhaben, sie war zäh, das war mir schon an der Uni aufgefallen. Während ich auf Kritik aggressiv reagiert und die Professoren insgeheim Idioten genannt hatte, hatte sie aufmerksam zugehört und versucht, ihre Sache das nächste Mal besser zu machen.
    Wir waren schon den ganzen Tag unterwegs gewesen, und ich war von Kaffee auf Pernod umgestiegen und hatte aufgehört zu lesen und beobachtete stattdessen die Leute in den Cafés, als ich sah, wie Sonja aus dem Haus trat, in dem sie vor einer halben Stunde verschwunden war. Ein gutaussehender Mann mittleren Alters hatte ihr die Tür aufgehalten, und die beiden gingen miteinander die Straße hinunter. Ich bezahlte an der Theke und folgte ihnen, aber noch bevor ich sie eingeholt hatte, öffnete der Mann die Tür eines weißen Kombi und ließ Sonja einsteigen. Ich schaute mich nach einem Taxi um. Natürlich war weit und breit keines zu sehen. Ich stand eine Weile ratlos da, schließlich machte ich mich auf den Weg zu Antjes Wohnung.
    Antje saß im Wohnzimmer und las. Sie fragte, wo ich Sonja gelassen hätte. Sie ist mit einem Mann ins Auto gestiegen und weggefahren. Das fängt ja gut an, sagte Antje, magst du auch einen Pfefferminztee? Ich habe ihn eben aufgebrüht.
    In der Küche fragte ich Antje, wie sie Sonja eigentlich kennengelernt habe. Sie sei mit ihren Eltern befreundet, sagte Antje, sie habe Sonja schon als kleines Mädchen gekannt. War sie damals schon so? Antje nickte. Ein bisschen altklug war sie und sehr ernst. Sie hatte diese Art, die jedem Respekt einflößt, schon als kleines Kind. Eigentlich haben immer alle gemacht, was sie gesagt hat, ohne es zu merken. Sie schien nur an die anderen zu denken. Man kam gar nicht auf die Idee, dass etwas auch zu ihren Gunsten sein könnte. Einer meiner Professoren hat mir Sonjas Eltern vorgestellt. Sie waren damals bei jeder Vernissage. Als ich ein Problem wegen einer ungewollten Schwangerschaft hatte, half mir Sonjas Vater. Danach hat er

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