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Sieben Phantastische Geschichten

Sieben Phantastische Geschichten

Titel: Sieben Phantastische Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. G. Ballard
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beschlossen hatte, seine Anwesenheit nicht mehr vor ihm zu verbergen.
    Pangborn beherrschte sich und sah sich gründlich im Solarium um. Ein gleichbleibendes Licht fiel durch die Glasöffnung in diese Welt ohne Schatten und tauchte die Kammer beinahe in einen Unterwasserschein. Er hatte ein Programm resynchronisierter Filme rezensiert – es gab jetzt ein riesiges Repertoire umgeschriebener Klassiker, deren Fabel und Dialog ohne jede Verbindung mit den Originalen waren. Pangborn hatte sich eine eingefärbte und mit einer anderen Tonspur unterlegte Fassung von »Casablanca« angesehen, nun ein neuer Lehrfilm eines Hotelmanagement-Kurses über die Fußangeln und das Lohnende am Nachtklubbetrieb in Übersee. Pangborn ignorierte den abgedroschenen Dialog und genoß die zeitlos elegante Kunst des Regisseurs, als ein Farbfehler am Hauptbildschirm die Gesichter der Darsteller grün verfärbte.
    Als er die Bildschirmwand abgedreht hatte und eben die Servicefirma anrufen wollte, hörte Pangborn deutliche Atemgeräusche. Er erstarrte in seinem Stuhl und lauschte dem charakteristischen Auf und Ab menschlichen Atmens. Als wüßte er, daß ihm Pangborn zuhörte, begann der Eindringling schwerer zu atmen, die harten tiefen Atemzüge eines Mannes, der sich fürchtete.
    Kühlen Blutes blieb Pangborn weiterhin mit dem Rükken zum Eindringling, der sich entweder im Flur oder im Badezimmer verborgen hielt. Er konnte die Furcht des Mannes nicht nur hören, sondern auch riechen, den entfernt vertrauten Geruch, der ihm die Woche zuvor aufgefallen war. Aus irgendeinem Grund war er sich beinahe sicher, daß der Mann nicht die Absicht hatte, ihn anzugreifen, und nur versuchte, aus dem Solarium zu entkommen. Vielleicht war er ein erschöpfter Flüchtling vor einem Justizirrtum, ein irrtümlich eingekerkerter geisteskranker Patient.
    Den verbleibenden Nachmittag tat Pangborn so, als beobachte er die defekten Fernsehschirme, während er systematisch über eine Methode nachgrübelte, wie er mit dem Eindringling fertig werden könnte. Zunächst mußte er die Identität des Mannes feststellen. Er schaltete die Monitorkamera ein, die das Solarium überwachte, und stellte sie so ein, daß sie ständig Badezimmer, Küche und Flur abtastete.
    Pangborn beschäftigte sich dann mit der Aufstellung einer Anzahl kleiner Fallen. Er sperrte das Arzneischränkchen im Badezimmer auf und markierte die Lage der Wundsalbe und des Heftpflasters. Nach einem absichtlich frühen Abendessen ließ er ein kleines Filetsteak und eine Schüssel Salat stehen. Er legte ein frisches Stück Seife in die Schale der Duschkabine und verstreute einen feinen Talgnebel auf dem Badezimmervorleger.
    Zufrieden kehrte er zu den Fernsehschirmen zurück. Halbwach lag er bis in die frühen Morgenstunden und lauschte dem schwachen Atmen irgendwo hinter ihm, während er seine endlose Analyse der Mordszenen aus »Psycho« durchführte. Die makellose und tonlose Schnittstelle der Haut der Filmschauspielerin mit den weißen Badezimmerfliesen in ungeheurer Vergrößerung enthielt die Geheimformeln, die seinen eigenen Körper mit dem weißen Gewebe und dem hellen Chrom seiner Körperformcouch verbanden.
    Beim Erwachen am nächsten Morgen hörte er wieder das Atmen des Eindringlings, so ausgeruht, daß sein geheimnisvoller Besucher beinahe ein Teil des alltäglichen Lebens im Solarium zu sein schien. Todsicher, wie Pangborn erwartet hatte, waren all die bescheidenen Fallen ausgelöst worden. Der Mann hatte sich die Hände mit dem frischen Stück Seife gewaschen, ein Bruchteil des Steaks und des Salates waren verzehrt worden, ein seltsamer Fußabdruck zeichnete sich auf dem Talg im Badezimmer ab.
    Von diesem handgreiflichen Beweis, daß er im Solarium nicht allein war, aus der Fassung gebracht, starrte Pangborn den Fußabdruck an. Der Fuß des Mannes war beinahe von derselben Größe wie sein eigener, mit derselben übergroßen und vorwitzigen großen Zehe. Etwas an dieser Ähnlichkeit ließ Pangborn vor Zorn erröten. Er verspürte eine plötzliche Herausforderung, ausgelöst durch dieses Gefühl der Identität mit dem Mann.
    Diese enge Berührung mit dem Eindringling verdoppelte sich noch, als Pangborn entdeckte, daß der Mann ein Buch aus seinem Regal genommen hatte – den beinahe nicht aufzutreibenden Text des Originaldialogs zum »Dritten Mann«, jetzt eine Lehrerzählung über die Gefahren der Sprachbarriere. Pangborn blätterte in den Seiten des Drehbuchs, in der vagen Hoffnung, einen

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