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Sieben Phantastische Geschichten

Sieben Phantastische Geschichten

Titel: Sieben Phantastische Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. G. Ballard
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würde. Der schlechte Geruch hing noch immer in der Luft, und Pangborn beschloß, zu duschen, bevor er hinausging, um von einem Nachbarn aus zu telephonieren. Als er jedoch ins Bad kam, konnte er deutlich die blutigen Risse im Duschvorhang sehen. Er zog ihn zurück und blickte auf die Leiche der jungen Servicetechnikerin, die mit dem Gesicht nach unten auf dem verfliesten Boden lag, in der vertrauten Haltung, die er in gut tausend Vergrößerungen analysiert hatte.
    Entsetzt über den ruhigen Ausdruck in Veras Augen, als hätte sie recht gut gewußt, welche Rolle ihr zugeteilt worden war, fuhr Pangborn mit seinem Stuhl ins Solarium zurück. Er umfaßte fest das Messer, spürte ihre Wunden in dem Schmerz in seinem Bein, und vernahm wieder einmal das tiefe Atmen um sich.
    In dieser Endphase war jetzt alles vergrößert. Nachdem er die Lage der Mädchenleiche mit seiner tragbaren Kamera aufgenommen hatte – der Film würde ein entscheidendes Beweismittel für die Polizeiuntersuchung sein –, ließ sich Pangborn vor der Bildschirmwand nieder. Er war überzeugt, daß jetzt bald die letzte Konfrontation zwischen ihm selbst und dem Eindringling stattfinden würde. Das Messer in der Hand, wartete er auf den Angriff. Die Geräusche im Solarium schienen lauter geworden zu sein, er konnte das Pumpen der Lungen des Eindringlings hören und fühlte seinen jagenden Puls durch den Boden in die Arme seines Sessels dröhnen.
    Pangborn wartete darauf, daß er kam, die Augen auf den Bildschirm, die Monitorkamera direkt auf ihn selbst scharf eingestellt. Er beobachtete die riesigen Nahaufnahmen seines eigenen Körpers, der Filmschauspielerin auf dem Badezimmerboden und von Veras hingestreckter Gestalt, die in den weißen Duschvorhang gewickelt war. Als er die Bedienungsknöpfe einstellte, diese Bereiche von Fliesen und Fleisch immer näher in den Brennpunkt brachte, fühlte Pangborn, wie er sich über den Zorn erhob in eine nahezu sexuelle Lust auf den Tod des Eindringlings, den ersten erotischen Drang, den er verspürte, seit er vor so vielen Jahren begonnen hatte, die Fernsehschirme zu beobachten. Der Körpergeruch des Mannes, der Pulsschlag und sein heißer Atem schienen auf einen orgastischen Höhepunkt hinzusteuern. Wenn sich in den nächsten paar Minuten ihr Zusammenstoß ereignete, wäre es ein Akt des Geschlechtsverkehrs, der ihm zu guter Letzt den Schlüssel liefern würde, den er brauchte.
    Pangborn hielt das Messer, beobachtete die weiß wer
    denden Bildschirme, anonyme Rechtecke bloßer Haut, die einen bruchstückhaften Himmel bildeten. Irgendwo unter ihnen befanden sich noch immer die Elemente der menschlichen Form, eine restliche Verbindung aus Kontur und Textur, in der Pangborn endlich den unverkennbaren Umriß des fremden Gesichts ausmachen konnte.
    Die Augen auf die Schirme gerichtet, wartete er darauf, daß ihn der Mann berührte, sicher, daß er den Eindringling mit seinen zwanghaften Bildern hypnotisiert hatte. Er empfand keine Feindschaft gegen den Mann und war sich jetzt bewußt, daß er sich in den Jahren im Solarium von der äußeren Realität so abgelöst hatte, daß sogar er selbst zu einem Fremden geworden war. Die Gerüche und Geräusche, die ihn mit Abscheu erfüllten, waren die seines eigenen Körpers. Die ganze Zeit über war der Eindringling im Solarium er selbst gewesen. Auf seiner Suche nach absolutem Frieden hatte er ein letztes einschränkendes Hindernis entdeckt – das Selbstzerstörerische seines eigenen Bewußtseins. Ohne dieses Bewußtsein würde er für immer im Universum der unendlichen Nahaufnahme aufgehen. Die junge Frau tat ihm leid, aber sie war es schließlich, die ihn zuerst zu seinem Abscheu vor sich selbst herausgefordert hatte.
    Nunmehr begierig, sich im weißen Himmel des Bildschirms zu verlieren, jenen Tod zu finden, in dem er sich auf ewig von sich selbst befreite, seinem störenden Bewußtsein und störenden Leib, führte er das Messer zu seinem glückerfüllten Herzen.

    Familienglück

    The Intensive Care Unit

    aus: J. G. Ballard: Mythen der nahen Zukunft, Suhrkamp, 1985
Übersetzung: Franz Rottensteiner

    Die nächste Attacke wird in wenigen Minuten erfolgen. Nunmehr, da zum ersten Mal alle Angehörigen meiner Familie um mich sind, scheint es nur recht und billig, einen lückenlosen Bericht von diesem einzigartigen Ereignis zu geben. Im Daliegen – ich kann kaum atmen, mein Mund ist voller Blut, und jedes Zittern meiner Hände spiegelt sich in der aufmerksamen Linse der

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