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Sieben Phantastische Geschichten

Sieben Phantastische Geschichten

Titel: Sieben Phantastische Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. G. Ballard
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Sie blickte mißbilligend auf die riesigen Vergrößerungen von »Psycho« auf den Fernsehschirmen und auf die verschwommenen Teile einer Schulter und eines Ellbogens, die von der Kamera im Solarium aufgezeichnet worden waren. »Es ist wie ein Puzzlespiel. Wer ist das? Sie?«
    »Jemand anderer, ein Freund, der mich besucht hat.«
    »Das habe ich mir gedacht – hier sieht es wüst aus. Die Küche – haben Sie sich je mit dem Gedanken getragen zu heiraten, Mr. Pangborn?«
    Er starrte sie an, wohl wissend, daß sie absichtlich kokett war, ihn zu seinem Besten aus der Fassung zu bringen versuchte. Ein Schauder überlief wieder seine Haut.
    »Sie sollten öfter ausgehen«, riet sie ihm verständig. »Besuchen Sie ihren Freund. Wollen Sie, daß ich morgen komme? Es liegt auf meinem Weg. Ich kann sagen, daß Ihre Antennen eingestellt werden müssen.«
    Pangborn fuhr um sie herum, wobei er ein Auge auf Badezimmer und Küche hatte. Vera zögerte, ehe sie ging, grübelte nach einer Ausrede, um länger bleiben zu können. Pangborn war überzeugt, daß dieser liebenswerte, freundliche Wirrkopf kein Spießgeselle des Eindringlings war, aber sobald er einmal die Anwesenheit des Mannes verriet, vom Mordversuch ganz zu schweigen, würde sie vermutlich in Panik geraten und dann einen offenen Mordanschlag herausfordern.
    Er beherrschte seine Wut und wartete, bis sie fort war. Aber jeder Ärger, den er empfand, war sofort vergessen, als ein zweiter Anschlag auf sein Leben unternommen wurde.
    Wie beim ersten Mordversuch fiel es Pangborn auf, daß die gewählte Methode ebenso hinterlistig wie ungeschickt war. Sei es, daß er von den Schlaftabletten noch immer halb benommen war, sei es, daß er physisch mutig war, er verspürte kein Gefühl der Panik, sondern nur die ruhige Entschlossenheit, den Eindringling bei seinem eigenen Spiel zu schlagen. Zwischen ihnen fand ein komplexes Duell statt, sein bruchstückhafter Verlauf wurde in einer länger werdenden Reihe gigantischer Vergrößerungen auf den Schirm projiziert – seine eigenen argwöhnischen Hände knapp vor der Kamera, die knochigen Schultern als Silhouette auf der Küchentür, sogar der Teil eines Ohres wurde vom Spiegel des Arzneischränkchens reflektiert. Als Pangborn in seinem Stuhl saß und Teile dieses visuellen Puzzles mit Elementen der Szenenfolge in der Dusche aus »Psycho« kombinierte, wußte er, daß er früher oder später ein vollständiges Bild des Eindringlings zusammenstellen würde.
    Inzwischen wurde die Anwesenheit des Mannes immer deutlicher. Sein Körpergeruch erfüllte das Solarium und haftete in den Handtüchern im Badezimmer. Er bediente sich offen der Nahrungsmittel im Kühlschrank und verstreute Salatreste auf dem Boden. Pangborn setzte die Überwachung unermüdlich Tag und Nacht fort und versuchte, die Wirkung der Schlaftabletten loszuwerden. So fest war sein Entschluß, den Eindringling zu besiegen, daß er es als selbstverständlich ansah, daß das Wasser im Badezimmerschrank mit Waschsoda verunreinigt worden war. Später, in der Küche, als er sein brennendes Gesicht mit Mineralwasser wusch, konnte er das selbstzufriedene Atmen des Eindringlings hören, wie er einen weiteren kleinen Streich feierte.
    Im Verlauf dieser Nacht, als er halb im Schlaf vor einem der Fernsehbildschirme lag, schreckte er plötzlich hoch und spürte den heißen Odem des Fremden im Gesicht. Überrascht blickte er sich in dem flackernden Licht um und entdeckte das Gemüsemesser auf dem Teppich und eine kleine Wunde an seinem rechten Knie.
    Zum ersten Mal war das Solarium von einem üblen Geruch erfüllt, einem unerträglichen Gemisch von Desinfektionsmitteln, Exkrementen und körperlichem Zorn, wie die Atmosphäre eines schlecht geführten psychiatrischen Krankenhauses.
    Pangborn erbrach sich auf den Teppich neben seinem Stuhl und wandte dem Fernsehschirm dabei den Rücken zu. Das Gemüsemesser vor sich haltend, begab er sich in den Flur. Er sperrte die Eingangstür auf und wartete, bis die kühle Nachtluft ins Solarium eindrang. Bei offener Tür rollte er mit dem Stuhl zum Telephon neben den Bildschirmen.
    Als er die durchschnittene Kabelschnur in der Hand hielt, hörte er, wie sich die Flurtür ruhig schloß. Also hatte der Eindringling beschlossen, sich zu entfernen, sich vom Duell zurückzuziehen, wiewohl Pangborn jetzt unfähig war, mit der Außenwelt Verbindung aufzunehmen.
    Pangborn blickte auf die Bildschirme, voller Bedauern, daß er das Puzzle nie zusammenfügen

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