Sieben Phantastische Geschichten
geschehen.
Neben ihm runzelte Vansittart die Stirn und schaute auf seine Uhr, fragte sich, ob etwas schiefgelaufen war. »Es ist zwölf Uhr dreißig«, sagte er. »Geben wir’s auf –«
Er verstummte, als unten auf der Treppe Schritte knarrten. Er ruckte herum und beobachtete die Tür, gab Forbis ein Zeichen, sich ruhig zu verhalten.
Als er ihm den Rücken zuwandte, fuhr der kleine Mann plötzlich hoch und schlug ihm die rechte Handkante hart ins Genick, lähmte ihn vorübergehend. Als Vansittart zurücktaumelte, traf er ihn gekonnt links und rechts der Kehle, setzte ihn dann auf den Boden und trat ihn mit den Knien bewußtlos.
Er ging rasch ans Werk und übersah dabei den breiten Schatten, der sich von der Tür her über das Dach bis zu ihm erstreckte. Sorgfältig schloß er die drei Knöpfe an Vansittarts Jackett und lud ihn sich dann an den Revers auf die Schulter. Mit dem Rücken zur Brüstung ließ er ihn auf den Sims gleiten und knickte ihm die Beine ab. Vansittart rührte sich hilflos, sein Kopf baumelte hin und her.
Und … und …
Hinter Forbis rückte der Schatten näher, kroch die Brüstung hoch, ein massiger, halsloser Kopf zwischen schweren Schultern.
Forbis schnitt seinen keuchenden Atem ab, streckte beide Hände aus und versetzte den Stoß.
Zehn Sekunden später, als von der Straße unten mattes Hupen herauftönte, drehte er sich um.
»Braver Junge, Forbis.«
Die Stimme des großen Mannes klang tonlos, aber unge
zwungen. Aus zehn Fuß Entfernung musterte er Forbis liebenswürdig. Sein Gesicht war feist und bläßlich, der harte Mund halb verborgen hinter einem buschigen Schnurrbart. Er trug einen voluminösen schwarzen Mantel, und seine eine Hand ruhte zuversichtlich in einer tiefen Tasche.
»Fowler!« Unwillkürlich wollte Forbis einen Schritt nach vorn gehen, versuchte einen Moment lang, seine Sinne wieder zusammenzubekommen, doch seine Füße saßen in der weißen Oberfläche des Daches fest.
Dreihundert Fuß höher dröhnte eine Verkehrsmaschine vorüber. In einem lichten Augenblick, den ihm der Lärm gewährte, erkannte Forbis Fowler, Vansittarts Rivalen im Kampf um den Psychologen-Lehrstuhl, entsann sich der langen Hypnosesitzungen, nachdem ihn Fowler vor drei Monaten in einer Bar aufgelesen und sich angeboten hatte, ihn von seiner chronischen Depression zu heilen, bevor sie in den Alkoholismus abglitt.
Mit einem Keuchen fiel ihm auch der Rest des verschütteten Befehls ein. Also war Vansittart die eigentliche Zielscheibe gewesen, nicht er selbst! » Fahren Sie hoch in den 100. Stock und …« Vor einem Monat hatte er den ersten Anschlag auf Vansittart unternommen, damals hatte ihn Fowler auf dem Dach zurückgelassen und dann vorgegeben, der Pförtner zu sein, aber Vansittart hatte noch zwei Leute mitgebracht. Der geheimnisvolle, versteckte Befehl war der Köder gewesen, um Vansittart erneut aufs Dach zu locken. Der listige Fowler hatte gewußt, daß Vansittart der Versuchung früher oder später erliegen würde.
»Und …«, sagte er laut.
Er begab sich zur Brüstung, um in der absurden Hoffnung, er könne den tausend Fuß tiefen Fall überlebt haben, nach Vansittart zu suchen, dann versuchte er sich selbst zurückzuhalten, als ihn der Sog erfaßte.
»Und –?« wiederholte Fowler freundlich. Seine Augen, zwei schwärende Lichtpunkte, ließen Forbis wanken. »Es kommt noch etwas hinterher, nicht wahr, Forbis? Sie fangen jetzt an, sich daran zu erinnern.«
Mit leerem Gehirn wandte sich Forbis der Brüstung zu, der trockene Mund sog Luft.
»Und –?« schnappte Fowler mit schärferer Stimme …
Und … und …
Empfindungslos sprang Forbis auf die Brüstung und ba
lancierte auf dem schmalen Sims wie ein Kunstspringer, vor den Augen schwankten ihm die Straßen. Unten schwiegen die Hupen, und der Verkehr war wieder in Fluß gekommen, im Zentrum eines kleinen Menschenauflaufs an der Gehwegkante stand ein Knäuel Autos. Einige Augenblicke konnte er widerstehen, und dann erfaßte ihn die Strömung, warf ihn um wie eine treibende Spiere.
Fowler trat still durch die Türe. Zehn Sekunden später ertönten wieder die Hupen.
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