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Sieben Phantastische Geschichten

Sieben Phantastische Geschichten

Titel: Sieben Phantastische Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. G. Ballard
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so weit vergrößern, bis sie die gesamte Persönlichkeit auseinanderklaffen läßt, wie eine Axt, die einen Holzklotz spaltet.«

    Forbis grübelte einige Augenblicke darüber nach, dann hellte sich seine Miene ein wenig auf. »Na, es scheint, als hätte ich die Suggestion geschlagen. Was auch passiert, ich schaffe es nie bis aufs Dach, also muß ich doch stark genug sein, dagegen anzugehen.«
    Vansittart schüttelte den Kopf. »Um die Wahrheit zu sagen: Sie sind es nicht. Sie halten sich nicht selbst vom Dach fern, ich tue das.«
    »Was soll das heißen?«
    »Ich habe Ihnen eine weitere hypnotische Suggestion eingepflanzt, die Sie im 99. Stock festhält. Als ich die erste Suggestion freilegte, versuchte ich sie zu löschen, merkte, daß ich sie nicht mal auf der Oberfläche ankratzte, und gab Ihnen deshalb vorsichtshalber eine zweite, eigene ein. ›Steigen Sie im 99. Stock aus.‹ Wie lange sie wirken wird, kann ich nicht sagen, aber sie läßt bereits nach. Heute haben Sie mehr als sieben Stunden gebraucht, um mich zu benachrichtigen. Beim nächsten Mal haben Sie vielleicht genug Dampf drauf, um aufs Dach zu kommen. Darum, glaube ich, sollten wir einen Kurs einschlagen, dieser Obsession wirklich auf den Grund gehen oder sie vielmehr –« er lächelte wehmütig »– auf die Spitze treiben.«
    Forbis setzte sich langsam auf, massierte sein Gesicht. »Was schlagen Sie vor?«
    »Na, Sie aufs Dach kommen zu lassen. Ich lösche meinen Zweitbefehl, und wir sehen zu, was passiert, wenn Sie aufs Dach hinausgehen. Keine Sorge, für den Fall, daß irgend etwas schieflaufen sollte, bin ich bei Ihnen. Das mag ein ziemlich schwacher Trost sein, Forbis, aber ehrlich gesagt, es wäre so einfach, Sie umzubringen, ohne geschnappt zu werden, daß ich mir nicht vorstellen kann, daß sich jemand solche Mühe damit macht. Es existiert da offenbar ein tieferes Motiv, etwas, was vielleicht mit dem 100. Stock zusammenhängt.« Vansittart hielt inne, musterte Forbis sorgfältig und fragte dann ganz beiläufig: »Sagen Sie, haben Sie den Namen Fowler schon mal gehört?«

    Als Forbis den Kopf schüttelte, sagte er nichts, registrierte aber insgeheim das reflexhafte Stocken unbewußten Wiedererkennens.
    »Alles in Ordnung?« fragte Vansittart, als sie unten an der letzten Treppe standen.
    »Bestens«, sagte Forbis ruhig und verpustete sich. Er sah zu der rechteckigen Öffnung über ihnen hoch und fragte sich, wie er sich fühlen würde, wenn er endlich das oberste Dach erreichte. Sie hatten sich durch einen der rückwärtigen Lieferanteneingänge in das Gebäude gestohlen und waren dann mit einem Lastenaufzug in den 80. Stock gefahren.
    »Na, dann wollen wir mal.« Vansittart ging voraus, winkte Forbis hinter sich her. Gemeinsam stiegen sie zur letzten Tür hinauf und traten hinaus in das strahlende Sonnenlicht.
    »Doktor …!« rief Forbis glücklich. Er fühlte sich frisch und aufgekratzt, sein Geist war klar und endlich unbeschwert. Er schaute sich auf dem kleinen Flachdach um, tausend Ideen taumelten ihm nacheinander durch den Kopf wie die Kristallteilchen eines Gebirgsstromes. Darunter jedoch zerrte eine tiefere Strömung an ihm.
    Fahren Sie hoch in den 100. Stock und …
    Um ihn lagen die Hausdächer der Stadt, und eine halbe Meile entfernt, vom Dunst verborgen, die Spitze des Gebäudes, die er am vorherigen Tag zu erklimmen versucht hatte. Er schlenderte über das Dach, ließ sich von der kühlen Luft den Schweiß vom Gesicht nehmen. Die Brüstung besaß keine Selbstmördergitter, doch ihr Fehlen machte ihm keine Angst.
    Vansittart beobachtete ihn aufmerksam, in einer Hand den schwarzen Koffer. Er nickte aufmunternd und winkte Forbis dann zur Brüstung, stellte den Koffer mit Bedacht auf den Sims.
    »Spüren Sie etwas?«
    »Nichts,« Forbis lachte, ein brüchiges Kichern. »Da hat sich wohl jemand einen dummen Scherz erlaubt – ›Jetzt wollen wir mal sehen, wie Sie da wieder runterkommen.‹ Kann ich mir die Straße ansehen?«
    »Natürlich«, willigte Vansittart ein und hielt sich bereit, Forbis zu packen, wenn der kleine Mann versuchen sollte, zu springen. Jenseits der Brüstung wartete ein tausend Fuß tiefer Sturz in eine belebte Hauptgeschäftsstraße.

    Forbis umklammerte die Innenkante der Brüstung mit seinen Handflächen und spähte auf die mittäglichen Menschenmengen hinab. Autos drängten und rangierten wie bunte Flöhe, und Leute wälzten sich ziellos über die Gehsteige. Es schien nichts Interessantes zu

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