Sieben Phantastische Geschichten
weiteren Fingerzeig auf die Identität des Mannes zu entdecken. Er stellte das Buch sorgsam ins Regal zurück. Diese ersten Andeutungen über die Natur des Eindringlings – der gemeinsame literarische Geschmack, die Form seiner Füße, das Geräusch seines Atmens und sein Körpergeruch – faszinierten ihn und forderten ihn zugleich heraus.
Als er mit hoher Geschwindigkeit die Filmstunden ablaufen ließ, die die Kamera aufgezeichnet hatte, erhaschte er ab und zu etwas, was nach einem flüchtigen Anblick des Eindringlings aussah – das Aufblitzen eines Ellbogens hinter der Badezimmertür, eine Schulter, die sich vor dem Arzneischränkchen abzeichnete, die Rückseite eines Kopfes im Flur. Pangborn starrte auf diese Vergrößerungen, dehnte sie weiter aus neben den Standbildern von »Psycho«, den Systemen zweier paralleler, aber zusammenfallender Geometrien.
Das nie offenkundige, aber zivilisierte Duell zwischen ihnen setzte sich in den nächsten Tagen fort. Zuweilen beschlich Pangborn das Gefühl, daß er eine ménage à deux inszenierte. Er kochte buchstäblich Mahlzeiten für sie beide – der Eindringling war glücklicherweise mit Pangborns Weingeschmack einverstanden und stärkte sich in der Nacht öfter mit kleinen Schlucken an Pangborns Cognac. Vor allem aber stimmten ihre intellektuellen Geschmäcker überein – ihr Interesse am Film, an abstrakter Malerei und an der Architektur von Monumentalbauten. Pangborn schien es beinahe, daß sie offen das Solarium teilten und sich in ihrer Ablehnung der Welt und der Erforschung ihrer absoluten Ichs, ihrer einzigartigen Zeit und ihres einzigartigen Raumes trafen.
Um so verbitterter waren daher Pangborns Reaktionen, als er entdeckte, daß der Eindringling versucht hatte, ihn zu töten.
Zu niedergeschmettert, um nach dem Telephon zu greifen und die Polizei zu rufen, starrte Pangborn auf die Packung Schlaftabletten. Er horchte auf das schwache Atmen irgendwo hinter ihm, tiefer jetzt, als ob der Eindringling den Atem anhielte und auf Pangborns Reaktion wartete.
Zehn Minuten vorher beim Trinken seines Morgenkaffees hatte Pangborn zunächst den schwach beißenden Geschmack ignoriert, vermutlich ein neuer Geschmacksstoff oder ein Konservierungsmittel. Nach ein paar weiteren Schlucken hätte er jedoch beinahe aufgestoßen. Als er die Tasse sorgfältig ins Waschbecken entleerte, entdeckte er die halb aufgelösten Überreste eines Dutzends Medikamentenkapseln.
Pangborn griff in sein Arzneischränkchen und öffnete das jetzt leere Fläschchen mit den Schlaftabletten. Er horchte auf das schwache Atmen im Solarium. Irgendwann, während er ihm den Rücken zuwandte, hatte der Eindringling den ganzen Inhalt in seinen Kaffee gleiten lassen.
Er zwang sich, in das Becken zu erbrechen, aber als Vera eine Stunde später eintraf, war ihm noch immer übel.
»Sie sehen verärgert aus«, sagte sie fröhlich zu ihm. Sie deutete auf die Bücher, die um das Regal verstreut lagen. »Ich bemerke, daß Sie wieder gelesen haben.«
»Ich borge einem Freund einige Bücher.« Pangborn drehte den Stuhl von ihr weg, als sie mit ihrem Koffer durch das Zimmer schlenderte. Unter dem Sitz seines Stuhls hielt er den Griff eines Gemüsemessers umfaßt. Als er zu dem allzu grellen Make-up und den arglosen Augen des Mädchens aufblickte, fiel es ihm schwer zu glauben, daß sie mit dem Eindringling vielleicht unter einer Decke steckte. Zugleich aber war er überrascht, daß sie die offenkundigen Atemgeräusche des Mannes nicht hören konnte. Wieder einmal staunte Pangborn über seine Agilität, seine Fähigkeit, sich von einer Seite des Solariums auf die andere zu bewegen, ohne mehr als ein paar Bruchstükke seiner Anwesenheit auf dem Monitorfilm zu hinterlassen. Er nahm an, daß der Mann ein sicheres Versteck gefunden hatte, vielleicht in einem Installationsschacht, den Pangborn nicht kannte.
»Mr. Pangborn! Sind Sie wach?«
Mit Mühe riß sich Pangborn zusammen. Er blickte auf und sah, daß Vera vor ihm kniete. Sie hatte ihre Kappe zurückgeschoben und rüttelte an seinem Knie. Er tastete nach dem Messergriff.
»Mr. Pangborn – all diese Pillen im Badezimmer. Wozu sind sie da?«
Pangborn machte eine vage Handbewegung. Nur damit beschäftigt, eine Waffe zu finden, hatte er vergessen, die Kapseln wegzuspülen.
»Mir ist das Fläschchen ins Waschbecken gefallen – passen Sie auf, daß Sie sich nicht die Hände schneiden.«
»Mr. Pangborn –« Verwirrt stand Vera auf und rückte die Kappe zurecht.
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