Sieben Siegel 00 - Jenseits des Jahrtausends
Zweifel.
Auch Dea war keineswegs überzeugt, dass sie alle tatsächlich den Januar des Jahres 1000 erleben würden. Doch wenn nicht, was ließe sich daran schon ändern? Nicht das Geringste. Und ganz gewiss würde es niemanden retten, sich mit Gewalt in einer Kirche zu verschanzen.
Ottwald bedrohte den alten Priester immer noch mit seinem Kurzschwert. Als Hartwig seine Krücke zum Schlag gegen den Händler heben wollte, ließ dieser die Klinge unmerklich vorzucken. Die Spitze ritzte den faltigen Hals des Alten. Ein dicker Blutstropfen verschwand im Kragen seiner Kutte.
Die Zuschauer hielten den Atem an. Keiner wagte es, sich zu rühren. Eingeschüchtert warteten sie ab, was weiter geschehen würde. Niemand wollte das Leben des Priesters aufs Spiel setzen.
Ottwald schaute sich um. Sein Gefolge hatte vier der fünf Karren entladen und die Kisten und Säcke ins Innere der Kirche gebracht. Knechte lenkten die leeren Wagen davon, um Platz zu schaffen.
Der fünfte Karren aber blieb stehen. Seine Ladung war mit einer grob gewebten Plane abgedeckt. Jetzt machten sich mehrere von Ottwalds Leuten daran, den Stoff beiseite zu ziehen.
Darunter kam ein Berg aus Gold zum Vorschein.
Nicht einfach eine Kiste voller Geschmeide oder ein kleiner Haufen wertvoller Kleinode. Nein, dies war ein ausgewachsener Schatz! Mit ihm hätte man zehn Dörfer von der Größe Giebelsteins kaufen können und dazu alles Land, das sie umgab. Ottwald war sehr viel reicher, als sie alle geahnt hatten.
Auf Geheiß des Händlers wurde der Goldberg auf dem Platz vor der Kirche abgeladen. Knechte warfen mit Schaufeln die glitzernden Kostbarkeiten achtlos zu Boden, wo sie bald einen brusthohen Hügel bildeten. Anschließend wurde auch der letzte Karren fortgeschafft.
Ottwald schenkte dem Priester einen weiteren grimmigen Blick, dann gab er ihm einen brutalen Stoß, der ihn rückwärts in die Arme der Menge schleuderte.
»Dieses Gold ist meine Opfergabe an den Allmächtigen« rief Ottwald laut in die Runde, während sich sein Gefolge in die Kirche zurückzog. »Wer es anfasst, stirbt auf der Stelle.«
Damit deutete er auf das Dach der Kirche, wo drei Männer mit Langbögen Stellung bezogen hatten.
»Das Gold wird Tag und Nacht bewacht« verkündete Ottwald. »Es wird liegen bleiben, bis der Herr selbst vom Himmel steigt und es dankbar entgegennimmt.«
Hartwig warf ihm einen hasserfüllten Blick zu.
»Du kannst dich nicht mit Gold von deinem Schicksal freikaufen, Händler« rief er laut. »All deine Schätze und deine Überheblichkeit können nicht verhindern, was dir widerfahren wird. Deine Sünden lassen sich nicht in Reichtum aufwiegen. Nicht zur Jahrtausendwende und nicht zur Stunde deines Todes.«
Ottwald lachte nur hämisch über die Worte des Priesters. Dann drehte er sich um und trat in den Schatten der Kirche. Hinter ihm wurde das Tor zugeworfen. Die schweigenden Giebelsteiner hörten, wie an der Innenseite der schwere Riegel vorgelegt wurde.
Einen Moment lang herrschte atemlose Stille. Dann aber redeten mit einem Mal alle durcheinander.
Dea hörte eine Weile lang zu, dann machte sie sich auf den Nachhauseweg. Sie hielt kurz am Brunnen an, schöpfte Wasser in ihren Eimer und lief dann weiter. Dabei überholte sie Hartwig, der sich vom Vorsteher des Dorfes stützen ließ. Der Priester sagte gerade mit verbissener Miene:
»Das wird der Hundsfott noch bitter bereuen.«
Mit zittriger Hand wischte der alte Mann sich das dünne Blutrinnsal vom Hals.
»Was hast du vor?« fragte der Vorsteher.
»Ich werde nach Goten schicken lassen. Er ist der richtige Mann für diese Sache.«
»Goten? Der Hexenjäger?«
Dea sah noch, wie Hartwig nickte, dann war sie an den beiden Männern vorbei und rannte zu der Hütte am Ortsrand, in der sie allein mit ihrer Mutter lebte.
Während sie überlegte, mit welchen Worten sie daheim die Ereignisse schildern wollte, gingen ihr die Worte des Priesters nicht aus dem Kopf.
Goten.
Später, als sie am Herdfeuer davon erzählte, wurde ihre Mutter schlagartig bleich.
»Und er hat wirklich Goten gesagt?« fragte sie mit schwacher Stimme. Deas Mutter war klein und ein wenig pummelig. Sie hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihrer Tochter. Manchmal, in den düsteren Stunden nach Einbruch der Dunkelheit, ganz allein unter ihrer Decke, hatte sich Dea gefragt, ob sie ihre Mutter wohl auch hätte leiden können, wenn sie nicht mit ihr verwandt gewesen wäre. Ob sie sonst noch etwas verband? Bis heute hatte sie
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