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Sieben Siegel 00 - Jenseits des Jahrtausends

Sieben Siegel 00 - Jenseits des Jahrtausends

Titel: Sieben Siegel 00 - Jenseits des Jahrtausends Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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aufgegangen.
    Sie richtete ihren Oberkörper auf und schüttelte Sand aus ihrem langen Haar. Obwohl sie ihren Kopf während der Nacht auf das Kleiderbündel gelegt hatte, waren die Stunden im Freien nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Sie hatte am Rande der Dorfstraße geschlafen, gegenüber vom Gasthaus, mit angezogenen Knien und krummem Rücken. Und jetzt tat ihr jeder einzelne Knochen, jeder einzelne Muskel weh. Außerdem fror sie erbärmlich. Nicht einmal die Felldecke aus ihrem Bündel hatte daran etwas ändern können.
    Das morgendliche Treiben zwischen den Hütten und Häusern war bereits in vollem Gang. Dea konnte die verwunderten und argwöhnischen Blicke der anderen wie Nadelstiche spüren. Wahrscheinlich hatte es sich schon herumgesprochen, dass ihre Mutter sie vor die Tür gesetzt hatte. Alle mussten annehmen, dass sie irgendetwas Schreckliches verbrochen hatte, um eine solche Strafe zu verdienen.
    Sie blickte zum Wirtshaus und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Als sie die Lider wieder öffnete, stand Goten im Türrahmen und starrte zu ihr herunter; zumindest nahm sie das an, denn sein Gesicht lag wie schon am Vortag im Schatten der Kapuze. Seine schwarze Kutte reichte bis zum Boden, das Breitschwert baumelte bedrohlich an seiner Seite.
    Dea wollte aufstehen und zu ihm gehen, aber der finstere Anblick des Hexenjägers raubte ihr allen Mut. Einen Augenblick lang brachen sich Sonnenstrahlen auf dem silbernen Kreuz auf seiner Brust. Sie blendeten Dea. Blinzelnd wandte sie sich ab.
    Als sie wieder hinschaute, war Goten fort. Sie entdeckte ihn am Ende der Straße, auf dem Weg zur Kirche. Großer Gott, er war schnell!
    Sie rappelte sich auf und folgte ihm. Auch andere schlugen diesen Weg ein, und mit jeder Minute wurden es mehr. Alle wollten sehen, wie Goten den Händler Ottwald aus Giebelsteins Dorfkirche vertrieb.
    Diesmal hielt die Menge größeren Abstand. Die Mutigsten wagten sich bis zum Brunnen vor, doch die meisten blieben weit dahinter zurück. Dea aber stand in vorderster Reihe, ihr Bündel fest mit beiden Händen umklammert.
    Der Goldberg auf dem Platz vor der kleinen Holzkirche lag da wie am ersten Tag. Niemand hatte ihn berührt. Vom Dach aus behielten Ottwalds Bogenschützen die glitzernde Opfergabe wachsam im Auge.
    Goten jedoch kümmerte sich nicht um die drei Männer, die bei seinem Eintreffen sogleich Pfeile an ihre Bogensehnen legten. Er ging mit kraftvollen Schritten zum Portal der Kirche und hämmerte dreimal mit geballter Faust dagegen. Das Holz erzitterte, die Schläge hallten laut im Inneren des Gotteshauses wider.
    »Was?«, brüllte eine Stimme von innen. Weder Ottwald noch einer seiner Leute hatten seit einer Woche auch nur die Nasenspitze aus dem Tor gestreckt.
    »Ottwald von Rehn«, sagte Goten laut, und Dea hatte das Gefühl, dass die Worte ebenso den versammelten Dorfbewohnern wie dem Händler galten. »Ich fordere dich auf, dieses Haus Gottes zu verlassen, Buße zu tun und dich der höchsten Gerichtsbarkeit, deinem Schöpfer, zu stellen.« In Deas Ohren klang das wie auswendig gelernt. Der Hexenjäger hatte wohl nicht zum ersten Mal mit einem Verrückten wie Ottwald zu tun.
    »Wer ist da?«, schrie der Händler wutentbrannt jenseits der Tür.

    Goten gab keine Antwort. Das hatte er nicht nötig. Er wartete geduldig ab, bis einer der Bogenschützen auf dem Dach Ottwald über den Herausforderer in Kenntnis gesetzt hatte.
    Eine Weile lang herrschte im Inneren der Kirche merkliche Aufregung. Wortfetzen drangen ins Freie, aufgeregtes Gemurmel aus männlichen und weiblichen Kehlen.
    Dann aber brüllte Ottwald: »Ruhe!« Und sofort verstummten die Stimmen seiner Verwandten und Lakaien.
    »Goten!«, rief der Händler dann. »So bist du also selbst hergekommen. Ich wusste nicht, dass ich so bedeutend bin.«
    Auch darauf gab der Hexenjäger keine Antwort. Er stand reglos vor dem Tor, und seine schwarze Kutte flatterte im kalten Januarwind. Völlig unvermittelt wurde Dea klar, wie viel Glück sie gehabt hatte, dass sie heute Nacht auf der Straße nicht einfach erfroren war. Es war kaum Schnee gefallen in diesem Winter, die hauchdünne Schicht war schon vor zwei oder drei Wochen geschmolzen. Seitdem war es kalt, fror aber nicht mehr. Allerdings hatten die Alten prophezeit, dass sich das Wetter in den kommenden Tagen verschlechtern würde.
    »Ich werde hier nicht fortgehen, Goten«, brüllte Ottwald durch das Portal. »Um nichts in der Welt. Nimm dir von dem Gold so viel du willst, aber

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