Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sieben Siegel 00 - Jenseits des Jahrtausends

Sieben Siegel 00 - Jenseits des Jahrtausends

Titel: Sieben Siegel 00 - Jenseits des Jahrtausends Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
unruhig. Erst wütend, dann verwirrt. Was, zum Teufel, sollte das? Sie hatte doch genau gesehen, dass ihre Mutter zu Hause war.
    Sie versuchte es ein letztes Mal. »Sag mir doch wenigstens, was ich verbrochen habe.«
    Dea stand an der Vorderseite der Hütte, als sie plötzlich im rückwärtigen Teil etwas zuschlagen hörte. Die Hintertür!
    Hastig lief sie zur Rückseite. Von hier aus waren es nur wenige Schritte bis zum Waldrand, und sie vermutete schon, ihre Mutter sei abermals ins Unterholz gelaufen.
    Aber sie irrte sich.
    Am Fuß der Hintertür lag ein prall gefülltes Bündel. Dea besaß zwei Wämser, die sie abwechselnd trug; eines davon hatte sie auch heute an. Das zweite aber hing oben aus der Öffnung des Bündels, sie konnte es ganz genau an der hellgrünen Farbe erkennen.
    Dea bückte sich und untersuchte den Inhalt des Bündels. Wenige Blicke genügten, um zu erkennen, dass sich all ihre Habseligkeiten darin befanden. Eine der beiden Männerhosen, die sie so gerne trug, und auch der stumpfe Dolch, den sie einmal vom Schmied geschenkt bekommen hatte; er war das Wertvollste, das sie besaß.
    Sie hockte neben dem Bündel am Boden, ihre kargen Besitztümer in Händen, und spürte plötzlich, dass ihr Tränen über die Wangen liefen.
    »Mutter?« schluchzte sie leise. Und noch einmal: »Mutter?«
    Einige Atemzüge lang herrschte weiterhin Schweigen, nur Deas leises Weinen erfüllte die Dunkelheit. Dann aber raschelte es jenseits der Tür.
    »Geh fort!«, sagte Deas Mutter hinter dem Holz. Sie klang nicht wütend, nur traurig. »Du musst fort von hier.«
    »Warum?« Nur dieses eine Wort. Mehr bekam Dea nicht heraus.
    »Ein anderer wird dir die Antwort darauf geben«, sagte ihre Mutter.
    »Ein anderer?« Dea verstand überhaupt nichts mehr. »Was meinst du, Mutter? Wer?«
    »Geh zu Goten! Er hat alle Antworten für dich.«
    Ein eiskalter Schauder lief über Deas Rücken.
    »Der Hexenjäger?« Allein die Vorstellung bereitete ihr Übelkeit. »Was soll ich bei ihm?«
    Ihre Mutter schwieg wieder für eine Weile, dann sagte sie mit niedergeschlagener Stimme: »Leb wohl, Dea. Ich glaube nicht, dass wir uns wieder sehen werden.«
    Dea sprang auf und hämmerte verzweifelt gegen die Tür, aber nichts, was sie tat oder brüllte, zeigte eine Wirkung. Ihre Mutter antwortete nicht mehr. Ihr Entschluss, die Tochter zu verstoßen, stand unabänderlich fest.
    Schließlich löste sich Dea von der Tür. Der Schmerz in ihrem Inneren war entsetzlich. Sie hätte ihren Kummer nicht in Worte fassen können, so überwältigend, so allumfassend erschien er ihr. Sie hatte das Gefühl, als sei die dünne Hüttenwand, die sie von ihrer Mutter trennte, zu einem unüberwindbaren Hindernis geworden.
    Aber aus Verzweiflung wurde allmählich Wut. Sicher, im Augenblick war es kalt und dunkel, und alles sah trist und hoffnungslos aus. Aber wie wollte ihre Mutter sie davon abhalten, bei Tageslicht zurückzukommen? Irgendwann würde sie die Riegel beiseite schieben und ins Freie kommen müssen. Und dann würde Dea sie erwarten und zur Rede stellen. Schließlich würden sie sich in die Arme fallen, und alles würde wieder sein wie früher.
    Ja, genau. Nur hell musste es erst einmal werden.
    Sie nahm ihr Bündel auf, warf es sich über den Rücken und entfernte sich von der Hütte. In einigen der benachbarten Behausungen flackerte noch Kerzenschein durch Ritzen im Holz, aber niemand war draußen im Freien. Hatten die Nachbarn nicht mitbekommen, was zwischen Dea und ihrer Mutter vorgefallen war? Oder stellten sich alle nur taub, um sich nicht einmischen zu müssen? Vielleicht hätten sie sich verpflichtet gefühlt, Dea ein Quartier anzubieten – aber keiner wollte sie bei sich haben.
    Dea war bei den anderen niemals besonders beliebt gewesen, trotz ihres hübschen Aussehens. Die Abneigung der Dörfler war eines der wenigen Dinge, die sie mit ihrer Mutter gemeinsam hatte. Gewiss, der eine oder andere Junge schaute ihr manchmal hinterher, wenn ihr langes rotes Haar an ihm vorüberwehte, doch das war auch schon alles. Sie fühlte sich als Außenseiter, heute Nacht noch mehr als je zuvor.
    Der Pferdewagen des Hexenjägers stand nicht mehr vor dem Wirtshaus. Der Knecht musste das Ross in den Stall gebracht haben. Dea ließ ihren Blick über die Fensterhäute des Gasthofs schweifen, aber nirgends flackerte Kerzenschein.
    Geh zu Goten, hatte ihre Mutter gesagt.
    Er hat alle Antworten für dich.

Flammenhölle
    Als Dea erwachte, war die Sonne bereits

Weitere Kostenlose Bücher