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Sieben Siegel 02 - Der schwarze Storch

Sieben Siegel 02 - Der schwarze Storch

Titel: Sieben Siegel 02 - Der schwarze Storch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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so was zu sprechen.«
    Wieder dachte Kyra, dass die Siegel Nils in seinem einstigen Wagemut ganz schön gebremst hatten. Er war so schrecklich vernünftig geworden. Zugleich fragte sie sich, welche Veränderung die Male bei ihr selbst bewirkten. Gab es überhaupt eine? Falls ja, war sie die Einzige, der diese Wandlung nicht auffiel?
    Und was war mit Chris und Lisa? Welche Wirkung hatten die Siegel auf die beiden? Vielleicht würde die Zeit ihnen darauf eine Antwort geben.
    »Wir haben keine andere Wahl«, sagte Kyra schließlich.
    Chris nickte. »Ich glaube auch, dass es das Risiko wert ist. Ansonsten verhungern wir hier drinnen.«
    »Was für dich sicherlich das Schlimmste wäre«, stichelte Nils. »Aber was soll’s … Vielleicht habt ihr ja Recht. Ich bin dabei.«
    Chris schaute Lisa an. »Und was ist mit dir?«
    »Ich bin ziemlich gut darin, fremde Handschriften zu entziffern«, sagte sie mit nervösem Lächeln. »Wie’s aussieht, bleibt mir also gar nichts anderes übrig, als mitzukommen.«
    Kyra schenkte ihr ein aufmunterndes Grinsen, dann wandte sie sich zur Tür. Sie legte einen Finger an die Lippen und bedeutete damit den anderen zu schweigen. Angestrengt lauschte sie nach draußen.
    Kein Ton war zu hören.
    »Glaubst du wirklich, er ist weg?«, fragte Lisa.
    Kyra sagte das Erstbeste, das ihr einfiel: »Immerhin hat er ein Nest, auf das er aufpassen muss.«
    Die Zweifel auf den Gesichtern der anderen verrieten deutlich, dass sie das für ein ziemlich schwaches Argument hielten.
    »Alle fertig?«, fragte Kyra und legte die Hände an das Schließrad der Tür. »Dann los!« Mit diesen Worten öffnete sie das Stahlschott.

Die Bibliothek
    Auf den ersten Blick schien die Küche leer zu sein.
    Der riesige Raum, fünfzehn mal fünfzehn Meter groß, lag still und verlassen da. Nur einige der Kellen und Töpfe schaukelten leicht in ihren Halterungen. Es war noch nicht lange her, dass jemand an ihnen vorübergegangen war.
    Chris schaute über Kyras Schulter durch den Türspalt.
    »Sieht gut aus«, flüsterte er den Geschwistern hinter seinem Rücken zu.
    »Ja«, meinte Nils verdrießlich, »so wie auf dem Dach.«
    Sie schoben sich hintereinander nach draußen. Noch immer griff niemand sie an. Kyra hielt es für unwahrscheinlich, dass sich der Dämon hinter einer der hölzernen Anrichten versteckte. Er war schlichtweg zu groß dafür.
    Ihr Blick raste zur hohen Decke.
    Ausatmen. Auch dort oben schwebte kein schwarzer Riesenvogel.
    Nils ging vor dem Schott in die Hocke. Seine Fingerspitzen strichen über die Marmorfliesen.
    »Auf jeden Fall haben wir uns das alles nicht eingebildet«, murmelte er. »Seht euch die Spuren an.«
    Tatsächlich war der Boden mit Kratzern übersät. Manche waren so breit und tief wie ein Finger. Die Krallen der Kreatur zerschnitten Stein wie warme Butter.
    Geduckt schlichen die vier an den lang gestreckten Anrichten vorbei. Sie schwitzten vor Anspannung und Sorge. Sie alle kannten Augenblicke wie diesen aus dem Fernsehen: Jeden Moment konnte der Dämon aus seinem Versteck hervorschnellen und über sie herfallen. Auf weißen Kacheln war Filmblut besonders dekorativ.
    Aber das hier war die Wirklichkeit.
    Kyras Herzschlag raste. Es war ihre Idee gewesen, den Kühlraum zu verlassen. Was, wenn sie die anderen geradewegs ins Verderben führte?
    Denk nicht an so was!, schalt sie sich. Versuch, klar zu bleiben, dich zu konzentrieren …
    Sie erreichten die Küchentür. Der Durchgang stand weit offen. Draußen auf dem Gang war der Teppich von den Krallen des Dämons zerfurcht. Nils hatte Recht: Seine Eltern würden zu viel bekommen, wenn sie sahen, was während ihrer Abwesenheit geschehen war.
    Der Flur führte in die Eingangshalle. Die Freunde mussten den riesigen Saal durchqueren. Ihre nervösen Blicke zuckten hierhin und dorthin, streiften über die hohen Balustraden der oberen Stockwerke, durchsuchten angstvoll jeden Schatten. Der Storch war nirgends zu sehen. Kyra konnte kaum glauben, dass sie Recht behalten sollte. War die Bestie tatsächlich zu ihrem Gelege oben auf dem Dach zurückgekehrt?
    Der nächste Korridor. Vorbei an einem Dutzend geschlossener Türen.
    Allmählich spürte Kyra einen Hauch von Zuversicht. Vielleicht schafften sie es ja tatsächlich heil bis zur Bibliothek.
    Hinter ihnen, in der Eingangshalle, ertönte ein lautes Rauschen: das Schlagen mächtiger Schwingen.
    Der Storch stieß aus großer Höhe zum Boden herab. Die Kinder sahen ihn, als er kurz über dem Marmorboden der

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