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Sieben Siegel 05 - Schattenengel

Sieben Siegel 05 - Schattenengel

Titel: Sieben Siegel 05 - Schattenengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Die Türen der meisten Häuser standen offen, zahlreiche Fensterscheiben waren zerstört. Die leeren Öffnungen gähnten schwarz und bedrohlich inmitten der weißen Fassaden. Hinter vielen schien die Finsternis zu etwas Festem geronnen zu sein, nicht einmal die Strahlen der Taschenlampen vermochten die Schatten im Inneren der Häuser völlig zu durchdringen.
    Soweit sie sehen konnten, waren die Gebäude leer. Die wenigen Möbelstücke, die die Bewohner zurückgelassen hatten, waren zerfallen und von Spinnweben überzogen. Der Anblick erinnerte Kyra erneut an Nils’ Geschichte. Sie bekam eine Gänsehaut.
    Sie stiegen einige Stufen hinauf und erreichten einen kleinen Platz, höchstens sechs Meter im Quadrat.
    In seiner Mitte stand ein Widder mit mächtigen Hörnern und starrte sie bewegungslos an.
    Alle vier schraken zusammen, als der Schein ihrer Taschenlampen auf das zottige Tier fiel. So wie es dastand, majestätisch und vollkommen reglos, hätte es der geheime Herrscher dieses Dorfes sein können, so als wäre dies ein Ort, an dem die Tiere die Macht ergriffen und alle Menschen vertrieben hatten.
    Sekundenlang starrte der Widder sie mit glitzernden Augen an, dann drehte er sich gemächlich um und trabte davon, verschwand klappernd in der Dunkelheit einer Gassenmündung.
    »Mir gefällt das alles nicht«, meinte Nils.
    »Mir auch nicht«, pflichtete Lisa ihm bei. »Es ist so … so still.«
    Tatsächlich, jetzt fiel es allen auf. In dem menschenleeren Ort herrschte vollkommene Stille. Nur wenn einer der vier sich bewegte, schien das Rascheln seiner Kleidung, das Tapsen seiner Schuhsohlen verzerrt von den Hauswänden widerzuhallen.
    »Okay«, sagte Kyra, »gehen wir zurück.« Auch ihr war unwohl zu Mute.
    »Warum?«, fragte Chris. »Lasst uns ein bisschen in den Häusern rumstöbern. Was soll denn schon passieren?«
    »Stöber du doch in den Häusern rum«, gab Nils zurück. »Wir warten am Flugzeug auf dich.«
    Lisa, die zwischen ihrem eigenen Wunsch, von hier zu verschwinden, und dem Drang, sich auf Chris’ Seite zu schlagen, hin- und hergerissen war, lenkte ein: »Wir können ja noch die paar Schritte bis zum höchsten Punkt des Dorfes gehen und dann umkehren.«
    Kyra nickte. »Wer weiß, vielleicht sehen wir von dort oben irgendwas Interessantes.«
    Chris schenkte Lisa ein Lächeln. Ein warmer Schauder raste durch ihren Körper. Dafür lohnte es sich zu bleiben – und wenn sie dem Teufel persönlich gegenübertreten musste.
    Obwohl Nils weiterhin murrte, setzten sie ihren Aufstieg durch die schmalen Gassen fort. Immer wieder riss das Licht ihrer Lampen unerwartete Strukturen aus der Dunkelheit, die ihnen einen gehörigen Schrecken einjagten: eine verkümmerte Pflanze, die in einem Topf neben einer Haustür stand; ein Fahrradgestell, das ohne Räder auf der Seite lag; eine verästelte Antenne, die irgendwann von einem der Dächer in die Gasse hinabgestürzt war.
    Endlich kamen sie an die höchste Stelle des Dorfes, einen kleinen, halbrunden Platz, der an ein Gebäude grenzte, das größer war als die meisten anderen. Offenbar eine Art Rathaus.
    Jemand erwartete sie.
    »Seid gegrüßt«, sagte eine sanfte Stimme aus dem Dunkel.
    Vier Lichtstrahlen zuckten augenblicklich in die Richtung, aus der die Worte erklungen waren. Vier Lichtstrahlen badeten eine schlanke Gestalt in weißem Schein.
    »Ich wusste, dass ihr kommen würdet«, sagte der junge Mann. Er trug einen bodenlangen schwarzen Mantel, der in weiten Falten von den Schultern ab auseinander fiel. Die Ärmel waren lang und wallend, nur die hellen Fingerspitzen schauten daraus hervor. Das Haar des Mannes fiel ihm weit über die Schultern und war ebenso schwarz wie sein Mantel, genauso schwarz wie die Nacht, die sie alle umgab.
    Es war derselbe Mann, der sie vor dem Absturz bewahrt hatte. Der Mann, dem sie alle ihr Leben verdankten.
    Und doch – in diesem Augenblick, an diesem gespenstischen Ort, flößte er ihnen einen gehörigen Schrecken ein.
    Er schien sich seiner Wirkung durchaus bewusst zu sein. »Fürchtet mich nicht«, sagte er. Seine Stimme war immer noch leise und voller Sanftmut; sie passte nicht zu jemandem, der sich auf der Tragfläche eines dahinrasenden Flugzeugs tödliche Kämpfe mit seinesgleichen lieferte.
    Kyra schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter. »Wer bist du?«
    »Mein Name ist Azachiel«, gab er zurück und trat gemächlich zwei Schritte auf sie zu. Etwa vier Meter lagen jetzt noch zwischen ihm und den Freunden.
    »Das ist aber

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