Sieben Siegel 05 - Schattenengel
Franzosen einen Kalender mit vergilbten Nacktfotos entdeckt. Er war vor acht Jahren abgelaufen.
Sie konnte es kaum noch erwarten, wieder von hier zu verschwinden.
Azachiel
Vom Flugzeug aus fuhr der Professor mit Castel zurück zur Wetterstation, während Kyra und die anderen sich berieten: Sie entschieden, auf eigene Faust das verlassene Dorf auszukundschaften. Vielleicht fanden sie dort ja doch irgendetwas, was ihnen weiterhalf.
Es war gegen vier Uhr morgens, als sie sich auf den Weg machten. Der Himmel war immer noch stockdunkel. Jeder von ihnen trug eine der Taschenlampen bei sich, mit denen sie schon die Ruinen von Lachis erforscht hatten.
Sie hatten etwa einen Kilometer zurückgelegt, als Nils plötzlich sagte: »Irgendwie ist das alles hier noch unheimlicher als die Stollen von Lachis, findet ihr nicht auch?«
»Geht so«, meinte Kyra griesgrämig. Von ein paar Unterbrechungen abgesehen hielt ihre schlechte Laune schon an, seit sie in diesen dummen Tempel hinabgestiegen waren. Sie wusste selbst nicht genau, weshalb. Es hatte etwas mit diesem Ding zu tun, das ihr Vater entdeckt hatte; mehr noch eigentlich damit, dass er ihr nicht erzählte, um was es sich dabei handelte. Sie fand seine Geheimnistuerei schlichtweg unfair. Wie spektakulär konnte die Wahrheit schon sein? Wohl kaum spektakulärer als das, was Kyra und die anderen erlebt hatten, seit sie Träger der Sieben Siegel waren.
»Mir fällt ’ne Geschichte ein«, sagte Nils. Ihm fielen in solchen Momenten immer Geschichten ein, eine gruseliger als die andere.
Lisa ließ den Strahl ihrer Taschenlampe über die zerklüftete Felslandschaft wandern. »Ich weiß nicht, ob das jetzt so ’ne tolle Idee ist.«
»Du hast ja bloß Schiss«, konterte ihr Bruder.
»Hab ich nicht!«
»Dann hör zu.«
Und während Chris und Kyra über das übliche Geschwistergezänk noch einen genervten Blick tauschten, legte Nils los:
»Das Ganze ist der Schwester einer Frau passiert, die mal bei uns im Hotel gewohnt hat.«
Die Eltern von Nils und Lisa führten das alte Hotel Erkerhof, außerhalb von Giebelstein. »Die Frau war selbst etwas … na ja, merkwürdig. Sie aß jeden Morgen vier Eier, ungekocht, nur leicht angewärmt. Und nachmittags lief sie durch die Korridore und gackerte wie ein Huhn.«
Lisa hob argwöhnisch eine Augenbraue.
»Merkwürdig daran ist vor allem, dass ich mich nicht an diese Frau erinnern kann.«
Kyra kicherte, und Chris räusperte sich verlegen. Alle wussten, dass Nils seine Geschichten erfand – meist aus dem Stegreif –, auch wenn er jedes Mal Stein und Bein schwor, dass sie sich genau so zugetragen hatten. Und immer behauptete er, sie seien einem Freund eines Freundes oder Verwandten eines Verwandten zugestoßen.
»Also …«, fuhr Nils fort, ohne auf Lisas Einwurf einzugehen. »Die Schwester dieser Frau war noch ziemlich jung, als das alles passiert ist, fünfzehn oder sechzehn. Das muss in den Fünfziger- oder Sechzigerjahren gewesen sein, als die Frauen noch diese Riesenfrisuren trugen, sooo hoch …« Nils machte mit beiden Händen eine weit ausholende Geste über seinem Kopf.
»Ihr wisst doch, damals hat man sich die Haare auftoupiert wie Türme, zwanzig, dreißig Zentimeter hoch. Das Mädchen, um das es in der Geschichte geht, hatte eine Frisur, die noch höher war als alle anderen. An ihrer Schule war sie so was wie ’ne Schönheitskönigin.«
»Wie Kyra«, warf Chris leise ein und sah ziemlich erschrocken aus, als ihm klar wurde, dass alle anderen es gehört hatten. Kyra wurde puterrot, während Lisas Stirn sich in Falten legte. Sie hasste es, wenn Chris Kyra Komplimente machte. Hatte der blöde Kerl denn nicht auch mal eines für sie, für Lisa, übrig?
Nils nutzte Chris’ Bemerkung gleich für seine Geschichte: »Ihr Haar war genauso rot wie das von Kyra, eben nur viel länger, sodass sie es zu einem Turm von gut vierzig Zentimeter Höhe hochfriemeln konnte. Jeden Morgen ging eine ganze Dose Haarspray drauf, nur um dem Ding auf ihrem Kopf einigermaßen Halt zu geben.«
»Ganz schön bekloppt«, kommentierte Lisa finster, deren Haar strohblond und kurz war.
Nils nickte. »Nachts, im Bett, schlief sie meist im Sitzen und stülpte sich dabei einen großen Karton über den Kopf, damit die Frisur nicht zerknittert wurde. Und beim Duschen setzte sie die größte Duschhaube auf, die ihr euch vorstellen könnt.«
»Abgesehen von dieser bescheuerten Frisur – was ist an der Geschichte denn nun so gruselig?«, unterbrach
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