Sieben Siegel 08 - Teuflisches Halloween
sonst?«
Rasch setzten sie ihre Suche nach der Alraune fort, noch schneller, noch gründlicher, während sie doch am liebsten die Hände auf ihre Ohren gepresst hätten, um die schauerlichen Laute aus den Nebenräumen auszusperren.
Zu dem Heulen gesellte sich jetzt ein Kratzen. Jemand schabte an der Wand, die das Lagunenzimmer vom Werwolfkerker trennte. Es klang wie ein Hund, der ein Loch gräbt: schnell, gezielt, kraftvoll.
»Da versucht jemand, durch die Wand zu brechen!«, rief Nils. Der Lichtschein seiner Taschenlampe zuckte bebend über die Pflanzen hinweg, zitterte wie ein Irrlicht.
»Halt die Lampe ruhig«, verlangte Chris. »Ich seh sonst nichts.«
Nils wollte gerade etwas erwidern – als mit einem Mal etwas aus dem Dickicht der Palmwedel schoss. Eine grüne Klaue legte sich über Chris’ Gesicht und zerrte ihn mit mörderischer Gewalt nach hinten. Strampelnd verschwanden seine Beine zwischen den Pflanzen, dann war er fort.
»Chris!«
Nils tat instinktiv das einzig Richtige: Mit einem wagemutigen Sprung setzte er hinter Chris her.
Er verschwendete keinen Gedanken an das Risiko oder an die Art und Weise, auf die er Chris helfen wollte. Sein Sprung war purer Reflex.
Und damit rettete er Chris das Leben.
Mit einem Aufschrei flog Nils durch die grüne Blätterwand, klatschte gegen etwas Glitschiges und prellte es durch seinen Schwung beiseite.
Die Klaue, die gerade dem am Boden liegenden Chris den Garaus machen wollte, verfehlte ihn, als ihr Besitzer beiseite flog.
Der Schrecken vom Amazonas, die Kreatur aus der Schwarzen Lagune! Ein grüner Körper, annähernd menschlich gebaut, aber mit den Schuppen und Hornplatten eines Reptils. Ähnlich wie in dem alten Film, dessen Titelmonster sie nachempfunden war – nur schrecklicher, stärker, grausamer. Und stinkend.
Die Bestie hatte keinen Kopf.
Kein Wunder: Nils hatte die Maske unten im Hexenhaus liegen lassen. Was jetzt zum Leben erwacht war, war lediglich das Kostüm, auch wenn es nun ganz anders aussah als am Nachmittag, viel realistischer, gefährlicher. Und es war keineswegs leer. Unter Horn und Schuppen spannten sich mächtige Muskeln. Trotz seiner menschenähnlichen Anatomie hatte das Wesen die Kraft eines Raubtiers.
»Weg hier! Schnell!« Nils riss Chris auf die Beine und wollte mit ihm durch das Blätterwerk abtauchen, als Chris plötzlich brüllte:
» Runter! «
Nils zog den Kopf ein, und im selben Augenblick rauschte ein stinkender Luftzug über ihn hinweg – die Reptilienpranke der Kreatur hätte ihm glatt den Schädel von den Schultern geschlagen. So aber tauchte Nils unter dem Schlag hinweg und taumelte mit Chris durch die Gewächswand.
Sie gelangten an das Wasserbecken, das Herz der Lagune. Der umherzitternde Lichtkegel irritierte sie mehr, als dass er sie führte, aber Nils war nicht mehr in der Lage, die Lampe ruhig zu halten. So stolperten sie durch Farn und Palmenwedel und umrundeten das halbe Becken bis zur gegenüberliegenden Seite.
Hinter ihnen stapfte das kopflose Amazonasmonster aus dem Dickicht. Dort, wo sein Hals hätte sein müssen, schlossen die Schultern glatt ab. Doch auch ohne Schädel überragte es die beiden Jungen um beinahe eine Unterarmlänge.
»Und jetzt?«, keuchte Nils.
Chris brachte kein Wort hervor. Weglaufen hatte auf Dauer keinen Sinn.
Hinter ihnen drang das Schaben und Kratzen immer lauter und zorniger durch die Wand zum Werwolfkerker. Etwas arbeitete sich Stück für Stück durch die Mauer, und jetzt konnten sie das Bröckeln von Kalk und Mörtel hören – auf ihrer Seite der Wand!
Auch das Jammern und Wehklagen der Geister hob an wie beim Finale eines höllischen Chorgesangs.
Der Schrecken vom Amazonas glitt auf sie zu. Er schien keine Schritte zu machen, raste einfach vorwärts – und stolperte über den Rand des Wasserbeckens! In einer schmutzigen Fontäne klatschte die Kreatur ins Wasser und war eine Sekunde später untergetaucht.
Die Oberfläche glättete sich.
Die Bestie war fort.
»Aber … aber das Wasser geht uns höchstens bis zum Knie«, stammelte Nils. »Er kann nicht einfach darin untertauchen.«
»Nein«, pflichtete Chris ihm nachdenklich bei. Er zögerte einen Moment, dann beugte er sich vorsichtig über den Rand des Beckens und versuchte, durch die schwarze Wasseroberfläche zu schauen. Vergeblich. Es war zu dunkel, um irgendetwas zu erkennen. Ganz langsam streckte Chris eine Hand aus, dann den Zeigefinger, näherte sich damit unendlich zaghaft der Oberfläche und –
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