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Sieben Siegel 08 - Teuflisches Halloween

Sieben Siegel 08 - Teuflisches Halloween

Titel: Sieben Siegel 08 - Teuflisches Halloween Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Lärm vom Hof verstummte augenblicklich.
    Wie überall im Altbau waren auch hier die Wände mit schwarzem Stoff verhängt. Nach rund zehn Metern hatte man eine hölzerne Trennwand eingefügt und den so entstandenen Raum als Ausgangspunkt für alle Führungen durch das Gemäuer genutzt. Zwei Monsterpuppen – Untote mit hängenden Kiefern – begrüßten die Besucher zu beiden Seiten des Eingangs. Von der Decke hing ein alter Kronleuchter, eine Leihgabe des Kerkerhofs. Überall wehten künstliche Spinnweben in einem sanften Luftzug aus den Tiefen des Gebäudes. Mitten im Flur stand ein offener Sarg, in dem auf einer Tafel die Verhaltensregeln während der Führungen zu lesen waren:
    Bleiben Sie bei Ihrer Gruppe, egal, was geschieht!
    Keine Herzpatienten erlaubt!
    Keine Schwangeren oder Kleinkinder!
    Keine Kreuze, Silberkugeln oder Weihwasser!
    Und, bitte, nicht die Monster streicheln!
    Chris schmunzelte. »Gilt das jetzt auch noch?«
    »Klar«, erwiderte Nils. »Eigentlich ist Lisa hierfür noch zu jung.«
    »Ha, ha, ha«, machte seine Schwester missmutig.
    »Wo müssen wir denn hin?«, fragte Kyra.
    »In den zweiten Stock. Zur Hexenverbrennung, zur Alienautopsie und in die Mönchsklause des Exorzisten.« Mit einem Seitenblick auf Lisa sagte er: »Und natürlich in die Schwarze Lagune.«
    »Wer hat sich eigentlich diese Namen einfallen lassen?«, wollte Chris wissen.
    Nils grinste stolz.
    »Dreimal darfst du raten«, brummte Lisa.
    Schweigend verließen sie den Eingangsbereich und gingen zügig den Korridor entlang. Sie erreichten das Treppenhaus und stiegen die Stufen bis in den zweiten Stock hinauf.
    »Warum wurde der Altbau eigentlich geschlossen?«, fragte Chris, der noch nicht so lange wie die anderen in Giebelstein wohnte. Sein Vater war Diplomat und hatte sich erst kürzlich hier zur Ruhe gesetzt. Bis dahin hatte Chris’ Familie in Städten rund um den ganzen Globus gelebt.
    »Es heißt, es liegt ein Fluch über dem Gemäuer«, sagte Nils.
    »Ach, komm schon«, pfiff ihn seine Schwester zurecht.
    »Stimmt aber doch«, wehrte sich Nils. »Seit damals, vor fast hundert Jahren, als der allererste Direktor der Schule einen seiner Schüler totgeschlagen hat.«
    »Er hat was? « , entfuhr es Chris.
    »Damals gab es in Schulen noch die Prügelstrafe«, erklärte Kyra. »Schüler, die irgendwas verbrochen hatten, wurden vor der Klasse mit einem Rohrstock verprügelt. Schläge gab’s entweder in die offenen Hände oder auf den Hintern.«
    »Der gute Direktor hat’s übertrieben«, sagte Nils. »Er hat so lange auf einen seiner Schüler eingeschlagen, bis er sich nicht mehr gerührt hat.« Nils beobachtete zufrieden, wie Chris angewidert eine Grimasse zog.
    »Das war pädagogisch sicher wahnsinnig wertvoll«, sagte er.
    »Hättest du noch irgendeinen Mucks gemacht, wenn’s dich einmal erwischt hätte?« Nils schüttelte wissend den Kopf. »Ganz bestimmt nicht.«
    »Dieser Direktor war bekannt dafür, dass er die Schüler regelmäßig prügelte. Man munkelte, dass er wahnsinnig sei«, sagte Kyra, die schon vor Jahren von dem Vorfall gehört hatte. Wer nach der vierten Klasse von der Grundschule auf Giebelsteins Schlossschule wechselte, wurde auch heute noch als Erstes mit dieser Schauergeschichte empfangen – damit man gleich Bescheid wusste, was einen hier zu erwarten hatte. Aber natürlich war dies heute eine ganz gewöhnliche Schule, und verprügelt wurde hier schon lange keiner mehr. Zumindest nicht von Lehrern.
    Die schwarzen Stoffbahnen an den Wänden schienen das Licht der Taschenlampen aufzusaugen. Die Helligkeit breitete sich kaum auf den Gängen aus, blieb immer als greller Lichtpunkt konzentriert, ganz gleich, wie sehr sie auch an den Lampen drehten und schraubten. Hin und wieder pulsierten die Stoffe, wenn Luftzüge darunter fuhren und geisterhaft durch die Gänge wehten.
    Die vier kamen an die Tür der Schwarzen Lagune, in der Lisa heute mehrere Stunden als Amazonasmonster verbracht hatte. Das Innere des ehemaligen Klassenzimmers war mit ausgeliehenen Palmen und Farnen aus einem Giebelsteiner Blumenladen ausstaffiert. In der Mitte befand sich ein schmutzig brauner Tümpel, bestehend aus einem Kinderplanschbecken und allerlei Grünzeug, dass die Ränder verdeckte. Im Großen und Ganzen war die Szenerie recht überzeugend – vor allem wenn, wie heute am Tag, aus den verborgenen Lautsprechern Dschungelgeräusche und fernes Kreischen ertönten. Jetzt war die Tonanlage freilich ausgeschaltet, und Stille

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