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Sieben Siegel 10 - Mondwanderer

Sieben Siegel 10 - Mondwanderer

Titel: Sieben Siegel 10 - Mondwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Waggons zu tun?«, fragte sie in die Runde.
    Chris räusperte sich. »Wenn die Gleise tatsächlich bis zur Sternwarte führen, kann der Zug eigentlich nur von dort gekommen sein, oder?«
    »Oder von irgendwo aus dem Wald«, gab Lisa zu bedenken. Vor ihrem inneren Auge formte sich erneut das Bild, das die Worte des Archivars heraufbeschworen hatten: riesige, schemenhafte Gestalten, die bucklig über den Bahndamm gebeugt standen, ihre mannslangen Krallen unter die Stahlgleise schoben und sie mit bloßen Händen aus den Verankerungen rissen, sie verdrehten und verbogen wie weichen Kupferdraht. Muskulöse Giganten mit zottigem Haar, wilde Kreaturen, halb unsichtbar im Nebel.
    Im Nebel?
    Wieso sah sie Nebel in dieser Szene? Vielleicht lag es an dem bedrückenden Wetter. Der Gedanke, dass es vermutlich schon dunkel sein würde, wenn sie die Archivgewölbe verließen, ließ sie noch stärker frösteln. Dunkelheit und Nebel waren wirklich zu viel des Guten.
    »Wir müssen auf jeden Fall um Mitternacht zu dieser Show«, sagte Kyra entschlossen.
    »Noch hat keiner Lisas Frage beantwortet«, sagte Chris beharrlich. »Wo ist die Verbindung zwischen diesen Waggons, den Wäldern und der Sternwarte?«
    »Und den alten Göttern«, fügte Lisa halblaut hinzu und spürte dabei ein Rumoren im Bauch. Die anderen sahen sie an, als hätte sie die Pointe eines guten Witzes verdorben – mit dem Unterschied, dass die Umstände wirklich alles andere als lustig waren.
    Herr Fleck fand als Erster seine Sprache wieder. »Vielleicht ist es besser, wenn ihr euch heute Nacht vom Bahndamm fern haltet. Aus den Wäldern im Norden kann nichts Gutes kommen.« Das klang ganz schön abergläubisch, aber ihre gemeinsamen Erfahrungen hatten sie eines Besseren belehrt.
    »Könnten wir nicht versuchen, in der Sternwarte anzurufen?«, schlug Chris vor. »Nur um zu hören, ob dort alles in Ordnung ist.«
    Der Archivar maß ihn mit einem langen Blick.
    »Diese Waggons bereiten dir ziemliche Sorgen, nicht wahr?«
    »Sie hätten dabei sein sollen«, kam Lisa Chris zur Hilfe. »Das waren keine normalen Bahnwaggons. Sie sahen aus wie etwas, das überhaupt nie gebaut worden ist.«
    »Wie etwas Lebendes«, ergänzte Chris.
    Einen Moment lang herrschte bedrückende Stille in dem Kellergewölbe. Den Freunden war klar, dass sie nur eine Möglichkeit hatten, den geheimnisvollen Vorgängen am Bahndamm auf die Spur zu kommen: Sie mussten zur Show gehen. Welche andere Wahl blieb ihnen denn auch? Falls der seltsame Zug tatsächlich etwas Dämonisches nach Giebelstein gebracht hatte, würde die Begegnung früher oder später unvermeidbar sein. Da war es besser, wenn die Siegelträger ihren Gegnern zuvorkamen – oder zumindest versuchten, so rasch wie möglich mehr über sie herauszufinden.
    Zuvor ließ Kyra es sich jedoch nicht nehmen, von Herrn Fleck einen großen Stapel Bücher auszuleihen – bis auf das Buch ihrer Mutter, das Herr Fleck nicht aus den Händen geben wollte. Chris bot an, ihr ein paar der kiloschweren Bände abzunehmen, aber Kyra war der Meinung, dass sie das auch allein hinbekäme.
    Ein Trugschluss, wie sich bald herausstellte.
    Auf der engen Wendeltreppe nach oben verlor sie das Gleichgewicht, stolperte nach hinten und polterte in einem Wirbel aus Büchern und flatterndem Papier gegen Chris. Er versuchte noch, sie aufzufangen, konnte sich dann aber selbst nicht mehr halten. Fluchend stürzten sie rückwärts die Treppe hinunter und prallten unten auf den staubigen Steinboden. Dabei schlug Kyra mit dem rechten Fußknöchel so hart auf die Kante der unteren Eisenstufe, dass sie einen Augenblick lang benommen in sich zusammensackte.
    Lisa und Herr Fleck waren sofort bei ihnen.
    Chris rappelte sich auf. »Nix passiert«, stöhnte er.
    Leider galt das nicht für Kyra. Ihr Knöchel begann in Windeseile anzuschwellen und wurde so rot wie ein Granatapfel. Herr Fleck betastete ihn fachkundig – »Das hab ich im Krieg gelernt«, murmelte er düster – und kam zum Schluss, dass der Knöchel verstaucht war.
    »Das war’s dann wohl«, keuchte Kyra und ließ sich von ihren Freunden hochhelfen.
    Lisa warf Chris einen Blick zu. »Wir bringen dich nach Hause, Kyra. Und dann schauen wir uns zu zweit am Bahndamm um. Ich meine, irgendwer muss ja was unternehmen, oder?«
    War da ein kurzes Blitzen in Kyras Augen, ein ganz winziger Augenblick der Erkenntnis? Nein, Lisa musste sich getäuscht haben.
    Kyra konzentrierte sich schon wieder ganz auf ihre Schmerzen und fluchte

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