Sieben Stunden im April
bereit bin. Zumindest zurzeit nicht. Vielleicht werde ich es auch nie sein, so dass ich die Beurteilung dessen anderen überlasse.
Aber ich möchte weiter darüber schreiben, wie ich überlebt habe. Über den Kampf gegen die Dämonen, gerufen in sieben Stunden Einsamkeit, die mein Leben, das nie perfekt war, aber das ich geliebt und das ich mir ausgesucht habe und das meins war, in weite Ferne haben rücken lassen. Ach ja: Der private Termin, von dem oben die Rede ist, war eine Verabredung mit meiner Kosmetikerin. Ich wollte mich schön machen lassen für die Hochzeit.
Es gibt noch einen zweiten Text, am gleichen Tag geschrieben wie der obige. Eine Liste mit all meinen Verletzungen. Körperlicher und seelischer Art. Die Liste ist sehr lang. Ich könnte immer noch weinen, wenn ich sie lese.
Während ich die letzten Zeilen unter dem Sonnenschirm auf dem Balkon schreibe, kommt mein Mann nach Hause. Verschwitzt, müde, abgearbeitet. Er lächelt. Seine Worte: »Siehst du, das hast du dir immer gewünscht – auf dem Balkon sitzen und ein Buch schreiben.« Man muss gut aufpassen, was man sich wünscht. Es könnte in Erfüllung gehen.
Moni macht Stress
Ich erinnere mich nur vage an das, was passiert ist, nachdem ich aus dem Büro gekommen bin. An Geräusche, einzelne Bilder. Da war diese behandschuhte Hand von irgendwem, die mich zu sich herwinkte und der ich das Messer übergeben habe. Dann war da dieser Mann in Dienstkleidung eines Justizvollzugsbeamten. Ich hätte ihn also erkennen sollen. Habe ich abernicht. Er fragte mich, ob ich verletzt sei, ob ich gehen könne. Ich bin in seine Arme gefallen, glaube ich. Und dann hörte ich ein Schreien, ein herzzerreißendes Schreien, halb Weinen, halb Wehklagen. Es war meine Stimme, die ich hörte. Hören musste. Aber auch hören durfte.
Es war so viel Polizei da, so viele Menschen. Waren sie erleichtert? Sicher. Bestimmt waren sie auch müde und erschöpft nach diesen langen Stunden. Sie haben mich dann in ein Büro gebracht, wo ich notärztlich versorgt wurde. Auf dem Weg dahin, an den ich mich auch nicht erinnere, habe ich die Hand eines Kollegen ergriffen, der irgendwo stand. Ich weiß nicht, ob wir etwas gesprochen haben, ich glaube aber nicht. Doch ich habe seine Hand genommen. Und dieses Bild sehe ich noch ganz deutlich: unsere Hände. Ich habe den Kollegen, dem diese Hand gehörte, nie wieder gesehen.
Während der ärztlichen Untersuchung in diesem kleinen, nun überfüllten Büro kam der Kollege P., mein Retter, meine einzige Verbindung zur Außenwelt. Er nahm mich in den Arm und sagte, er hätte versprochen, mich da rauszuholen und er hätte mich rausgeholt. Minuten später hörte ich ihn lachen. Dachte ich. Ich sah mich um. Warum lacht er, was gibt es zu lachen? Dann sah ich, dass er weinte. Er hatte gerade von den Vergewaltigungen erfahren. Und ich dachte, er soll nicht weinen. Jetzt ist doch alles vorbei. Ich dachte wirklich, alles sei vorbei. Ich wusste es damals einfach nicht besser.
Ich bin dann zum Krankenwagen getragen worden, denke ich. Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern, gegangen zu sein. Hat man mich wirklich durch dieses Gefängnis, dessen Gänge und Treppen ich immer aufrecht, mal mehr, mal weniger gut gelaunt, aber immer aufrecht und stolz und gerne durchschritten habe, getragen? Schon möglich.
Mein anschließender Transport ins Krankenhaus, Wegstreckemaximal drei Kilometer, ist mir übrigens vom Bayerischen Roten Kreuz bereits am nächsten Tag in Rechnung gestellt worden. Um die sechshundert Euro waren es. Ich habe nicht sofort überwiesen. Dann wurde ein gerichtliches Mahnverfahren eingeleitet. Das erste meines Lebens. Mein Rechtsanwalt hat Schlimmeres verhindert. Wie auch immer. Gut, dass es das Bayerische Rote Kreuz gibt.
An meinen Aufenthalt im Krankenhaus kann ich mich kaum erinnern. Auch hier nur einzelne Bilder. Zum Beispiel das von der Krankenschwester, die mich in Empfang nahm: »Ach, Mädchen, was hat man denn mit dir gemacht?« Hat sie das wirklich gesagt oder bilde ich mir das nur ein? Ich weiß nicht. Wenn sie es nicht gesagt hat, habe ich diese Worte in ihren Augen gelesen.
Dann das Bild der jungen Ärztin, die mich auch gynäkologisch untersucht hat. Jeden Handgriff hat sie mir erklärt: »Das ist wegen der Spuren.« Ja, wegen der Spuren. Ich habe geweint, das weiß ich noch. Und ich habe gesagt, dass ich doch in der nächsten Woche hätte heiraten wollen. »Ja mei, dann hoaraten’s hoalt später.« Bayerisch.
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