Sieben Stunden im April
Und Moni ist geblieben und hat mich im Schlaf schreien und weinen gehört. Moni hat mir morgens das Telefon gereicht, damit ich meinen Mann anrufen kann. Moni hat dem Arzt gesagt, er solle meine Venen in Ruhe lassen. Moni hat mich gezwungen, ein Stück Brot zu essen. Wenigstens ein kleines Stück Brot. Später, in den Monaten, die dann kommen sollten, hat Moni sich um meinen Sohn gekümmert und die Katze gefüttert. Moni war und ist bei mir. Und manchmal macht sie eben Stress. Danke für alles, Moni! Auch für die Käsefüße.
Ich bin der Ansicht, jeder Mensch braucht eine Moni. Ob Katharina eine hatte oder hat, kann ich nicht sagen. Wundern würde es mich jedoch nicht.
Katharina macht Mut
Katharina ist eine unglaublich beeindruckende Frau. Ich kenne sonst niemanden, der mit leiser Stimme so kraftvoll sprechen kann. So viel Präsenz zeigt. Vor vielen Jahren ist Katharina etwas Ähnliches passiert wie mir. Es gibt viele Parallelen, es gibt viele Unterschiede. Das Unglück unterscheidet sich immer. Das Glück nie. Das wusste schon Tolstoi. Siehe oben.
Katharina hat vieles anders gemacht als ich. Vielleicht besser. Das kann ich nicht sagen. Ich traue meinem Urteilsvermögen nicht mehr, seitdem ich mich in meinem neuen Leben bewege. Wichtig ist, dass mich Katharina besucht hat. Dass sie sofort da war, obwohl es ihr zeitlich eigentlich gar nicht passen konnte –der Flieger war gebucht, Abflug anderntags um sechs Uhr in der Früh. Es war immer noch April und es war kurz vor der Hochzeit. Sommerliche Wärme und Folie und Watte um mich herum.
Wir haben Stunden miteinander geredet. Nein – ich habe erzählt und Katharina hat zugehört. Manche Menschen glauben, Zuhören sei erlernbar. Das ist Blödsinn. Entweder man kann es oder man kann es nicht. Katharina kann es sehr, sehr gut.
Irgendwann im Laufe dieses Nachmittages habe ich ihr die eine Frage gestellt, von der ich wusste, dass ich sie nur Katharina würde stellen können. Sie kam mir kaum über die Lippen. Eigentlich sollte man nur Fragen stellen, wenn man auch imstande ist, die Antwort zu verkraften, dachte ich immer. Ich war mir keinesfalls sicher, das zu können.
»Wie soll ich jemals wieder mit ihm schlafen? Wie soll das gehen?«
Ich werde nichts über die Inhalte dieses nachmittäglichen Gesprächs mit Katharina berichten. Es war eines der Gespräche, die mir beim Überleben geholfen haben, und das geht nur Katharina und mich etwas an. Aber ihre Antwort gehört hierher:
»Stell diese Frage nicht. Warte einfach ab. Es wird ein Zeitpunkt kommen, wo diese Frage völlig unwichtig ist, ein Zeitpunkt, an dem alles einfach und selbstverständlich und normal ist und sich richtig anfühlt. Ich weiß nicht, wann der Zeitpunkt da sein wird, aber dass er kommt – das weiß ich. Warte ab und frage nicht.«
Katharina hatte recht. Und ihre Antwort – das war einer dieser 100-Euro-Sätze, die mich in meinem neuen Leben noch lange, vielleicht für immer begleiten werden.
Sie hat mir auch zwei Bücher geschenkt. Gut gegen Nordwind. Von Glattauer. Ein Tag länger als ein Leben. Von Aitmatow. Beide haben mir ermöglicht, dieses ungeliebte neue Leben risikolos für ein paar Stunden verlassen zu können. Beide haben mich wieder lesen gelehrt. Und beide habe ich mittlerweile einige Male verliehen, auch verschenkt.
Vielleicht werde ich eines Tages Katharinas 100-Euro-Antwort verschenken müssen, weitergeben müssen an eine andere Frau. Ich fürchte mich davor. Aber ich werde es tun.
Außerdem habe ich in Katharinas herrlicher chaotisch-gemütlicher Wohnung einige Wochen später die beste Thai-Seafood-Suppe meines Lebens serviert bekommen. Selber gekocht habe ich sie leider bisher noch nicht, anders als Metas Spätzle.
S’Allergröschde macht Arbeit
Die Großmutter meines Mannes heißt Meta, ist 86 Jahre alt und damit nur etwas älter als meine Mutter. Warum das nun so und nicht anders ist, spielt keine Rolle und würde nur zu unglaublich langatmigen Beschreibungen völlig wirrer Familienkonstellationen führen.
Meta, gebeugter Gang, ihr hellwacher Verstand spiegelt sich in hellwachen Augen. Meta hat sich gerade einen neuen Golf gekauft, ihren Ehemann nach gefühlten zweihundert gemeinsamen Jahren verlassen und eine eigene Wohnung bezogen, wobei sie sich der Unterstützung ihrer Kinder, Enkel und zahllosen Freundinnen absolut sicher sein kann. Ihre Wohnungseinrichtung stammt von Ikea.
Meta hat vor wenigen Jahren ihre älteste Tochter, die ich nicht kennengelernt habe,
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