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Sieben

Sieben

Titel: Sieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Schlueter
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der Vorstellung, dass Himmel, Erde und Unterwelt durch eine
     Art »Mittelachse« verbunden sind.
Diese Achse
, so Eliade,
gilt als »Öffnung«, als »Loch«; durch dieses Loch steigen die Götter auf die Erde herab und die Toten in die unterirdischen
     Gefilde, durch dieses Loch vermag die Seele des in Ekstase befindlichen Schamanen aufzufliegen oder abzusteigen, wie er es
     bei seinen Himmels- oder Unterweltsreisen bedarf.
Die Rede ist von jenem kerzengeraden kosmischen Pfad, den der Schamane während seiner Initiation unzählige Male durchreist
     hat und der – kurz gesagt – vom schamanischen »Weltenbaum« auf direktem Weg hinaufführt zum: Polarstern!
    Wer wie so viele archaische Kulturen den Himmel als Zelt wahrnimmt, der ist von der Vorstellung nicht weit entfernt,dass jener einzige Stern am Himmel, der scheinbar unverrückbar an stets derselben Stelle steht und um den sämtliche übrigen
     Gestirne in ewiger Kontinuität zu kreisen scheinen, den Himmel gleichsam wie ein gigantischer Pflock festhält. »Nagel des
     Himmels« nennt man den Polarstern folgerichtig bei den sibirischen Samojeden. »Nagelstern« bei den Finnen, Esten und den an
     der Beringstraße beheimateten Korjaken. Als »Eiserner Pfeiler« gilt der Polarstern den zwischen Lettland und Kasachstan angesiedelten
     Baschkiren. Als »goldeneSäule« den mogolischen Burjäten. Sie alle eint mit so vielen anderen Völkern der Nordhalbkugel die Vorstellung einer zwischen
     dem Polarstern und dem »Weltenbaum« des Schamanen gespannten »Weltsäule«.
    Der Herbsthimmel mit dem Polarstern im oberen Drittel
    Von dieser Vorstellung zum nächsten »himmlischen« Phänomen ist es nun nur mehr ein winziger Schritt: Welcher Europäer, Nordamerikaner
     oder Asiat hätte nicht schon als Kind gelernt, dass man den Polarstern unschwer am Nachthimmel findet, indem man die Hinterachse
     des auffallendsten aller Sternbilder – des »Großen Wagen« – um dasFünffache nach oben verlängert? Und wer hätte am glasklaren Nachthimmel nicht längst den Polarstern als »Handgriff« des »Kleinen
     Wagen« erkannt? Bleibt die Frage, aus wie vielen, mit bloßem Auge sichtbaren Sternen jene zwei, in direkter Korrespondenz
     zum Polarstern stehenden, Sternbilder jeweils gebildet werden? Die Antwort lautet bekanntlich: aus sieben.
    Dass man dem »Polarstern« je nach Epoche und Hochkultur durchaus unterschiedliche Beachtung zollte, zeigen die ihm jeweils
     zugewiesenen Bezeichnungen. Mit ähnlicher Nüchternheit, wie sie etwa den »Großen Wagen« »Septem Triones« nannten (eigentlich:
     Sieben Ochsen; aus den Septemtriones wurde später die lateinische Bezeichnung für Norden), galt den Römern die »Stella Polaris«
     – wie auch uns – schlicht als »Nordstern«. Anders in Griechenland, wo man ihn je nachdem respektvoll als »Phönizier« oder
     despektierlich als »Kuodoura« (= Hundeschwanz) bezeichnete. Während derselbe Stern den Arabern als »al-Rukkabah« (= Reiter)
     gilt, sehen die Türken in ihm nicht mehr und nicht weniger als »Yildiz« (= Stern). Die schamanische Metaphorik findet sich
     indes auch an einer Stelle wieder, wo man sie nicht unbedingt vermuten würde. So lässt Friedrich Schiller im Drama ›Don Carlos‹
     den Großinquisitor sagen:
     
    Der Philipp, dessen feste Seele, wie
    der Angelstern am Himmel, unverändert
    und ewig um sich selber treibt?
     
    Dabei scheint ein ganz anderes Phänomen für unsere Betrachtung viel bedeutsamer. Während wir besagten »Angelstern« ganz selbstverständlich
     an der Deichselspitze des »Kleinen Wagen« verorten, hatten die sumerischen und altägyptischen Astronomen noch eine ganz andere
     Wahrnehmung. Der Grund dafür liegt in einem unmerklichen »Schlingern« der Erde um ihre eigene Nord-Süd-Achse, welches dazu
     führt, dass sich die jeweilige Himmelsmitte aus irdischer Sicht alle paar tausend Jahre verschiebt. So wird unser derzeitiger
     Angelstern in rund 12   000   Jahren von der im Sternbild Leier angesiedelten »Wega« abgelöst worden sein, während bis zum Jahr 2800 vor Christus ein rund
     300   Lichtjahre entfernter Stern namens »Thuban« das Himmelszelt in der Mitte »festhielt«. Was dieser Fakt für die Position unserer
     beiden »Siebengestirne« bedeutet, zeigt ein Blick auf die Sternenkarte: Thuban steht mittig zwischen »Kleinem« und »Großem
     Wagen«. Heißt: Aus Sicht der bronzezeitlichen Kulturen der nördlichen Hemisphäre wurde der »Nagelstern« unmittelbar von besagten
    

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