Sieben
zwei Siebengestirnen umkreist.
Der Rest unserer Spurensuche löst sich scheinbar im Handumdrehen auf: Scheidet man nämlich jene Kulturen, in denen die mystische
Sieben seit mindestens 2000 Jahren eine Rolle spielt, von jenen, in denen die Siebenmystik ursprünglich unbekannt ist, so landet man etwa bei jenem äquatornahen
Breitengrad, von dem aus der Polarstern mit den beiden ihn umkreisenden Siebengestirnen schlicht und einfach nicht mehr zu
sehen ist!
Dennoch wäre diese Erkenntnis im Rahmen unserer Betrachtung nicht viel wert, würde die mystische Sieben in den Vorstellungen
der arktischen, nordeuropäischen, asiatischen oder nordamerikanischen Schamanen keine Rolle spielen.Davon indes kann nicht im Mindesten die Rede sein! So sprechen etwa die finnischen Ostjaken von den »siebenKaminen des Himmelsgottes«, bezeichnen die Jugra-Völker des nördlichen Ural den schamanischen Weltenpfahl als »sie benfach geteilten Vater-Mann«. Die sibirisch-jurakischen Schamanen versehen ihre hölzernen Idole mit jeweils sieben Einschnitten,
bevor sie ihnen am Fuße des gleichfalls siebenkerbigen Weltenbaums Opfer darbringen, und auch der ugrisch-nordrussische Schamane
nimmt sieben Hilfsgeister auf seine »Himmelsreise« mit. Der altaische Schamane hat auf seiner – vom »Rauchloch« im Zentrum
ausgehenden – Unterweltfahrt sieben Hindernisse zu überwinden, und Samojeden-Schamanen tragen sieben Glöckchen an ihrer Tracht,
die die Stimmen der »sieben Himmelsmädchen« symbolisieren. Der Schamane der sibirischen Jenisseei kocht während seiner ekstatischen
Reise »sieben fliegende Eichhörnchen«, während der Schamane der russischen Wogulen vor seinem Himmelsflug eine »siebenstufige
Leiter« besteigt. Es findet sich die sumerische Vorstellung des siebengeschossigen kosmischen Berges (symbolisiert durch die
Zikkurat) in der schamanischen Kultpraxis ebenso oft wieder wie die Vorstellung des siebenästigen Weltenbaums – oft repräsentiert
durch eine siebenästige Birke –, und den meisten schamanisch-spirituellen »Himmelsreisen« auf der Norderdhalbkugel liegt dieselbe Vorstellung von sieben
Himmelssphären zugrunde, wie wir sie seit »Babylon« in unterschiedlichen Religionen wiederfinden.
Unter den Mythen, die sich wie ein archaisches Weltkulturerbe quer durch Epochen und Kulturen erhalten haben, gehört der »Orpheus
und Eurydike«-Mythos wohl zu den anrührendsten. Hier in ganz groben Zügen der Inhalt: Orpheus, der wohl berühmteste Barde
der griechischen Mythologie, hatte mit seinem steinerweichenden Gesang die Herrscher der Unterwelt herumgekriegt, seine an
einem Natternbiss verstorbene Geliebte Eurydike wieder herauszurücken – unter der Bedingung, dass er sich auf dem Weg in die
Oberwelt der Lebenden nicht nach seiner Geliebten umsehen dürfe. Doch Orpheus hielt sich nicht an die Abmachung und verlor
dadurch seine Geliebte auf immer. Wer hätte wohl daran gedacht, dass es sich bei diesem so typisch griechischen Mythos im
Kern um ein schamanisch-indigenes Urmuster handelt, ähnlich wie die Urflut, die Toten- oder Unterwelt, die dort waltenden
teuflischen Dämonen oder jene fegefeuerartigen Abgründe, die man nur auf allerschmalsten Pfaden zu überbrücken vermag – um
nur einige wenige zu nennen. So erzählen sich etwa Tataren der Altai-Region die Geschichte von einem Mädchen namens Kubaiko,
welches sich in die Unterwelt hinabbegibt, um den Kopf ihres von einem Ungeheuer enthaupteten Bruders – sprich: dessen Seele
– hinaufzuholen. Eine andere Version des Orpheus-Mythos stammt aus dem Nordosten Chinas. Dort berichtet das Gedicht ›Nishan
saman‹ von einer Schamanin namens Nishan, die zur Zeit der Ming-Dynastie auf der Suche nach einem auf der Jagd tödlich verunglückten
Jüngling in die Totenwelt hinuntersteigt und dort die ärgsten Gefahren durchlebt. Mag sich hier wie dort noch ein geografischer
Bezug zum Orpheus-Mythos der griechischen Antike herstellen lassen, so scheint eine vergleichbare Verbindung in Polynesien
ausgeschlossen, wo der maorische Held Hutu in einem gleichfalls schamanisch inspirierten Mythos in die Unterwelt hinabsteigt,
um jenes Mädchen namens Pare zurückzuholen, das sich seinetwegen umgebracht hat.
Mit einem Mal erscheint alles ganz logisch. Wenn die fundamentale religiöse Vorstellung eines Zentrums eindeutig archaischen
Ursprungs ist – was ebenso für jegliche Ansätze von Sternenmystik gilt –, was hindert
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