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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Winter
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trug Ya Dao die Aufnahme immer bei sich, in seiner Brieftasche, gleich neben seiner goldenen Kreditkarte und dem Foto seiner Frau.
    »Ich zahle vierzehnhundert Euro Kaltmiete für einen traumhaften Blick über diese Mole«, schimpfte Zhou, als sie ihren schwarzen Geländewagen gleich darauf aus der Tiefgarage steuerte, »bloß dass ich leider weder die Zeit noch die Ruhe habe, diesen Blick auch zu genießen.«
    Ist das klug? , stichelte ihr imaginärer Vater.
    »Nein«, hielt sie ihm entgegen. »Aber ich möchte es genau so haben.«
    Nur zehn Minuten später parkte sie vor dem Punch and Dragon, einem absoluten Geheimtipp unter den zahlreichen Frankfurter Kampfsportschulen, wo sie regelmäßig Kickboxen und Kung-Fu trainierte.
    »Hallo, Ballerina!«, begrüßte sie Kemal Biçer, ein kurdischer Exprofiboxer, der neben dem klassischen Boxtraining auch Kickboxen und Straßenkampf unterrichtete und der sich Zhou gern und regelmäßig als Sparringspartner zur Verfügung stellte. »Heute mal kein Tänzchen an der Stange?«
    Zhou nahm ihm weder den legeren Ton noch die Doppeldeutigkeit seiner Bemerkung übel. Im Gegenteil: Kemal war einer der wenigen europäischen Männer, der sie nicht automatisch in Watte packte, nur weil sie Asiatin und vergleichsweise zierlich war. »Du weißt doch, von Zeit zu Zeit brauche ich was Härteres …«
    »Härter als Ballett?« Kemal schüttelte den Kopf. »Nee, Herzchen. Dann bist du hier fehl am Platz. Oder siehst du hier irgendwen, der sich die Zehen verbiegt, um seinen verdammten Schwerpunkt über einer fünf Zentimeter großen Standfläche auszubalancieren?«
    Sie lachte. »Nein.«
    »Na, siehst du. Also kommst du zur Erholung, gib’s zu!«
    »Ertappt«, rief sie und verschwand in der Damenumkleide, die mangels Bedarf eher die Ausmaße einer Besenkammer hatte.
    Als sie zurückkam, stand Kemal bereits im Ring. Im Training verzichtete er fast immer auf Schutzkleidung, mit Ausnahme seiner abgewetzten Sparringshandschuhe, die sich vor Zhou hin und her bewegten wie die sprichwörtliche Möhre, die den Esel zum Traben animieren sollte.
    »Dann mal los!«, sagte er.
    Zhou streckte sich, um Muskeln und Sehnen geschmeidig zu machen. Dann kniff sie die Augen zusammen und fokussierte ihre gesamte Aufmerksamkeit auf ihren Gegner. Sie wärmte sich beim Kampfsport grundsätzlich nicht lange auf, weil sie es so authentischer fand. Immerhin trainierte man als Polizistin immer auch für die Straße. »Bist du bereit?«
    »Ich?« Kemal grinste. »Na, aber immer, Baby. Das weißt du doch.«
    Anstelle einer Antwort knallte Zhous linker Fuß volle Suppe in seine Deckung.
    Am Anfang hatte sie sich überaus schwer getan, auf den nahezu ungeschützten Kemal einzudreschen, obwohl der Kurde gut einen Kopf größer war als sie. Doch diese Scheu hatte sie längst abgelegt. Kemal konnte auf sich selbst aufpassen. Punkt. Aus. Und sie musste endlich lernen, sich nicht ständig und überall von unberechtigten Skrupeln behindern zu lassen!
14
    »Na, wie war’s mit deiner Mutter?«
    Marlon Westen ließ sich auf die Couch fallen und zuckte gelangweilt die Achseln. Seit ein paar Monaten bewohnte er ein geräumiges Apartment im Westend, das einem ehemaligen Liebhaber von ihm gehörte. Doch der hatte beruflich im Ausland zu tun und Marlon kurzerhand den Schlüssel dagelassen. »Wie soll’s schon gewesen sein?«
    Sein Freund bedachte ihn mit einem Lächeln, das trotz aller Nachsicht auch wütend wirkte. »Also, ich finde, du hast echt Glück mit deiner Mutter.«
    »Jaja.« Marlon schnappte sich die Fernbedienung vom Tisch und schaltete den Fernseher ein.
    »Nicht?«
    »Doch, klar«, gab Marlon zu. »Das heißt, abgesehen davon, dass es immer schwieriger wird, ihr die Knete aus der Weste zu leiern.«
    Sein Freund stellte einen Teller mit Chips vor ihn hin, und obwohl Marlon eigentlich pappsatt war, griff er zu. »Zahlt dein Vater immer noch keinen Unterhalt?«
    »Erzeuger«, korrigierte ihn Marlon kauend.
    »Das ist doch albern«, murrte Jan.
    »Mag sein, aber ich will es so, okay?«
    »Okay.« Jan kroch hinter ihn und begann, seine Schultern zu massieren. »Also zahlt dein Erzeuger jetzt wieder Unterhalt für dich oder nicht?«
    »Mama behauptet, nein.«
    »Aber du glaubst ihr nicht?«
    »Ach, keine Ahnung. Sie war ganz komisch heute Abend. Irgendwie …« Er überlegte. »Ja, irgendwie fahrig.«
    »Du meinst zerstreut?«
    »Nein.« Marlon überlegte. »Ich meine …«
    »Was?«
    »Ängstlich«, antwortete er und erschrak

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