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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Winter
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eine knappe Armlänge von der Bar entfernt, aber die einzige Alternative zu dem Gewühl unten.
    Eine junge, unverschämt gut aussehende Kellnerin erschien, und Dana orderte ein Glas Weißwein. Dann streckte sie die Beine aus und pellte sich aus ihrer beigen Flausch-Fleecejacke, die ihr an diesem Abend jedoch nicht das gewohnte Gefühl von Geborgenheit und Schutz vermittelte.
    In den Fernsehmonitoren, die überall an den Wänden hingen, lief irgendein Modekanal. Dana sah grotesk geschminkte Models mit tiefen Augenringen, die ihre ausgemergelten Körper ausdruckslos über einen knallroten Laufsteg schoben. Sie selbst hätte kein einziges der präsentierten Kleidungsstücke auch nur entfernt als tragbar eingestuft, von alltagstauglich gar nicht zu reden. Aber Mode war ohnehin noch nie ihr Ding gewesen. Was das betraf, war sie immer gut damit gefahren, sich auf den Rat ihrer Freundinnen zu verlassen.
    Ihr Wein kam, und sie nickte der Kellnerin flüchtig zu. Dann ließ sie ihre Blicke über die Gesichter der übrigen Gäste wandern.
    Das Gespräch mit Sander ging ihr nicht aus dem Sinn. Und sie empfand einen geradezu maßlosen Zorn. Darüber, dass er sie noch immer mit der Düsternis seines Jobs belästigte. Dass sie seine Arbeit zu Beginn ihrer Beziehung sogar interessant gefunden hatte, konnte sie rückblickend schon lange nicht mehr nachvollziehen. Ebenso wenig die zahllosen Stunden, die sie damit verbracht hatte, ihrem Mann zuzuhören. Sander war von jeher ein Mensch gewesen, der – anders als viele seiner Kollegen – über die Arbeit sprach, die er tat. Ohne Namen zu nennen,natürlich. Aber er hatte ihr regelmäßig von den Patienten erzählt, die durch seine Hände gingen. Von ihren Problemen und Prognosen. Und von den Gefahren, die seiner Meinung nach von diesen Menschen ausgingen.
    Sie nahm einen Schluck Wein. Tag für Tag hatte sie ihrem Mann zugehört, und ohne dass sie es überhaupt bemerkt hätte, war das Gift in sie eingedrungen und hatte ihr Denken verändert. Ihre Wahrnehmung. Ihren Umgang mit anderen. Irgendwann hatte sie nichts und niemanden mehr in einem normalen Licht sehen können. Hinter jeder noch so banalen Bemerkung hatte sie einen Abgrund gewittert. Hinter jedem harmlosen Kindergesicht einen Psychopathen. Zu diesem Zeitpunkt war sie längst entschlossen gewesen, die Notbremse zu ziehen. Sie hatte es bloß noch nicht gewusst.
    Hinter ihren Augen kündigte ein leises Ziehen einen neuen Migräneanfall an. Bereits der zweite diese Woche. Sie massierte ihre rechte Schläfe.
    Sie hatten oft gestritten, Sander und sie. Über den Sinn seiner Arbeit zum Beispiel. Und noch viel öfter über deren Grenzen.
    »Und jetzt?«, hatte sie ihn gefragt, wenn er ihr wieder einmal von irgendeinem Minderjährigen berichtet hatte, den er für bedenklich hielt. »Was fängst du nun an mit deinem Wissen?«
    »Wie meinst du das?«
    »Du hast dieses Kind von oben bis unten durchgetestet und seinen Charakter für gefährlich befunden. Aber selbst wenn du damit richtigliegst … Was nützt dir das in der Praxis?«
    Sander sah sie kurz an und drehte sich dann eilig weg. Wie immer, wenn sie so redete.
    »Das Gesetz bietet dir keine Handhabe«, erzählte sie seinem Rücken. »Du kannst niemanden präventiv wegschließen. Aber andererseits bist du auch nicht der Meinung, dass eine Therapie in diesem Fall etwas ausrichten könnte …«
    »Richtig.«
    »Also?« Sie konnte sehr herausfordernd sein, wenn sie wütend war. »Was ist das Höchste, das du erreichen kannst?«
    »Dana, wirklich. Ich …«
    »Nein, ernsthaft«, fiel sie ihm ins Wort. »Angenommen, er tut genau das, was du ihm zutraust … Ist damit irgendwem geholfen?«
    »So kannst du das nicht sehen …«
    »Nicht?«
    »Nein.«
    »Wie sollte ich es denn dann sehen, deiner Meinung nach?«
    »Es geht bei meiner Arbeit in erster Linie um Wissen«, erklärte er ihr. »Wir müssen lernen zu verstehen, wie solche Persönlichkeitsstrukturen …«
    »Nicht wir, sondern du«, korrigierte sie ihn. »Du bist derjenige, der es verstehen will. Aber nicht, weil du jemandem mit diesem Wissen helfen könntest. Sondern einzig und allein, um recht zu behalten.«
    An dieser Stelle drehte er sich dann doch wieder zu ihr um. »Das ist nicht wahr, und das weißt du.«
    »Oh doch, das ist wahr«, schrie sie, verzweifelt über seine Sturheit und Ignoranz. »Du bist einzig und allein daran interessiert, dass sich deine Prognosen bewahrheiten. Du willst, dass sie von dir sagen, dass du alles

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