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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Winter
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seines Smartphones zu nehmen.
    »Keine Ahnung. Aber du bist dann immer so …«
    »Wie?«
    »So abweisend.«
    Völliges Unverständnis. »Abweisend?«
    »Ja.«
    »Das bildest du dir ein.«
    Keine Chance, dachte sie, und ihr fiel plötzlich ein, dass ihre Mutter seit Jahren behauptete, dass man mit Männern nicht vernünftig diskutieren könne. »Woran denkst du?«, hauchte sie dicht an seinem Ohr.
    »Hm?«
    »Woran du gerade denkst, will ich wissen.« Sie kicherte.
    »Ich hab überlegt, wann ich das letzte Mal Schlittschuh gelaufen bin.«
    »Schlittschuh?«, fragte sie entgeistert.
    »Hm.«
    Die Antwort kam ihr völlig absurd vor, auch wenn sie eigentlich nahelag, denn sie hatten gerade den Platz vor der Alten Oper erreicht, von wo aus sie die U7 Richtung Hausen nehmen wollten. Elina fand es toll, dass der Stadtrat nach langem Ringen einer Neuauflage des legendären »Opernplatz on Ice« zugestimmt hatte. Sie mochte die zahllosen romantischen Lichterketten rund um die Eisbahn am Lucae-Brunnen, auch wenn die verrammelten Buden und Zelte, durch die der Westwind pfiff, augenblicklich einen eher trostlosen Eindruck vermittelten.
    Sie dachte wieder an ihre Mutter, die – wenn sie Glück hatte – schlafend im Bett lag, und wünschte sich mit einem Mal nichts sehnlicher, als endlich in der U-Bahn zu sitzen, wo es warm und kuschelig war.
    »Was ist?«, fragte sie, als sie spürte, dass sich der Körper ihres Freundes plötzlich verspannte.
    Anstelle einer Antwort zeigte Marcel auf ein Bündel, das auf der anderen Seite der Eisbahn in der Nähe der Bande lag. »Was ist das?«
    »Du meinst, das da drüben?«
    Er nickte.
    »Weiß nicht. Abfall vielleicht.«
    Marcel schüttelte den Kopf. »Sieht irgendwie komisch aus«, konstatierte er und machte sich von ihr los.
    »Was hast du vor?«
    »Nachsehen«, entgegnete er und schwang ein Bein über die Brüstung.
    Irgendwo weit entfernt gröhlte ein Betrunkener unverständliches Zeug, und ein Stück weiter vorn, an der Straße, warteten ein paar Taxifahrer auf späte Fahrgäste.
    »Aber …« Elina sah sich um. »Du kannst doch nicht einfach da drauf gehen.«
    »Wieso nicht? Ist doch niemand hier.«
    »Das weißt du doch gar nicht.« Ihre Augen flogen zwischenden verbarrikadierten Ständen hin und her. »Vielleicht wird das ganze Gelände videoüberwacht. Oder das da hinten ist ein Penner. Vielleicht schläft er da.«
    Marcel sah sie an, als habe sie den Verstand verloren.
    »Wieso nicht?«, gab sie zurück. »Vielleicht ist der Typ betrunken oder so. Vielleicht ist er ein Junkie.«
    »Ein Grund mehr, ihn nicht einfach so liegen zu lassen.«
    Elina bekam seinen Arm zu fassen. »Sollten wir dann nicht lieber die Polizei holen?«, fragte sie.
    »Aber dann kriegt deine Mutter mit, dass du nachts unterwegs gewesen bist«, gab ihr Freund zurück.
    Ein Argument, dem sie sich kaum widersetzen konnte. »Okay«, sagte sie. »Dann komme ich mit.«
    »Nee, lass …«, setzte er an, doch sie ließ sich nicht bremsen.
    Schicksalsergeben reichte er ihr die Hand und half ihr beim Klettern über die Brüstung.
    Das Eis war noch nicht wiederaufbereitet und trug deutlich sichtbar die Spuren des zurückliegenden Tages. Blinde Kratzer zahlloser Kufen, Tannennadeln und Strohreste von den umliegenden Dekorationen, dazu ein paar leere Pappbecher, die vermutlich Glühwein und Kaffee enthalten hatten.
    Elina hatte mit ihren dünnen Stiefeletten alle Mühe, nicht auf ihrem Hintern zu landen, zumal Marcel überhaupt nicht daran dachte, sein Tempo nennenswert zu drosseln. Mit entschlossener Miene stapfte er geradewegs auf das zusammengesunkene Bündel zu.
    Als sie näher kamen, erkannte Elina eine Plane, deren Enden leise im Wind flatterten. Sie schien aus Plastik zu sein. Schweres graues Plastik.
    »Siehst du, es ist doch bloß Müll«, sagte sie im selben Moment, in dem Marcel eines der Enden zu fassen bekam.
    »’tschuldigung?«
    Das Nächste, was Elina hörte, war, wie ihr Freund nach Luft schnappte. Sie folgte seinem Blick und entdeckte zwei nackte Füße, die seitlich unter dem Plastik hervorschauten. Die Hautwar schneeweiß, nur zwischen den Zehen bläulich rot verfärbt, die Nägel waren in einem dezenten Braunton lackiert.
    »Ach, du Scheiße!«, stieß sie erschrocken hervor. »Ist das eine Frau?«
    Marcel antwortete nicht, sondern zerrte wie wild an der Plane, die sich irgendwo unter dem Körper verfangen hatte.
    »Lass!«, flehte sie. »Sie … sie sieht nicht aus, als ob sie …«
    Weiter kam sie

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