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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Winter
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begonnen hatte, einen Zwanziger gesetzt hatte. »Ich müsste dich mal kurz wegen der Telefondaten von Kübler sprechen«, begann er vorsichtig, weil er spürte, dass seine Kollegin ziemlich entnervt war.
    »Oh, das ist überhaupt kein Problem«, antwortete Em in jenem zuckersüßen Ton, der bei ihr höchste Gefahrenstufe signalisierte. »Ich stehe dir sofort zur Verfügung. Ich muss nur noch rasch meiner neuen Partnerin zeigen, wo sie ihr Schminktäschchen unterstellen kann.«
    Die beißende Ironie in ihrer Stimme ließ augenblicklich alle Umstehenden aufhorchen.
    »Scheiße, sag nur, die Kleine gehört zu dir?«, rief Decker, während die übrigen Kollegen noch dabei waren, die Information »neue Partnerin« zu verarbeiten.
    »Von was für einer Kleinen sprichst du?«, fragte Em verblüfft.
    Doch ihr Kollege antwortete mit einer Gegenfrage: »Ist deine neue Partnerin zufällig Asiatin?«
    »Ja, verdammt. Und?«
    »Scheiße, wie ungerecht ist das denn!«, jaulte Decker und schlug sich theatralisch die Hände vors Gesicht. »Und so was stecken sie ausgerechnet zu dir? Ich fasse es nicht!«
    »Darf ich aus deiner Rede schließen, dass du Mai Zhou schon kennengelernt hast?«, versetzte Em trocken.
    »Kennengelernt?«, seufzte er. »Schön wär’s.«
    »Quatsch nicht!« Allmählich verlor sie wirklich die Geduld. »Wo ist sie? Im Besucherraum?«
    »Nicht mehr«, entgegnete eine leise, jedoch erstaunlich tiefe Stimme in ihrem Rücken.
    Em drehte sich um und blickte in das ebenmäßig schöne Gesicht,das sie bereits von der Fotografie in Mai Zhous Personalakte kannte. In natura wirkte die Asiatin älter, oder besser: reifer als auf dem Bild, ohne dass Em hätte sagen können, woran genau sie diesen Eindruck festmachte.
    Mai Zhou trug ein elegantes dunkelblaues Businesskostüm, der Rock etwas mehr als knielang, der Blazer im Gehrockstil. Dazu trug sie ein schlichtes cremefarbenes T-Shirt. »Tut mir leid, dass ich Sie so unvorbereitet überfalle«, begann sie ohne erkennbare Scheu, »aber ich fing an, mich zu langweilen, und da dachte ich, ich sehe mich einfach schon mal ein bisschen um.«
    »Kein Problem«, antwortete Em mechanisch.
    Ihre neue Kollegin nickte und streckte ihr eine feingliedrige lange Hand entgegen. »Zhou.«
    »Capelli.«
    »Freut mich.«
    »Na, und mich erst!«, rief Decker, während sein Blick wenig diskret über Mai Zhous wohlproportionierten Körper glitt. »Aber wir … Wir sind hier eigentlich alle per Du, wissen Sie.«
    Die wachen schwarzen Augen wandten sich ihm zu. »So?«
    »Herr Decker hat hin und wieder Probleme mit seinen Hormonen«, kommentierte Em boshaft. »Nehmen Sie ihn am besten gar nicht ernst. Was er eigentlich fragen wollte, ist: Wie heißen Sie mit Vornamen?«
    »Mai.«
    »Mai«, wiederholte Decker, und die drei Buchstaben klangen erstaunlich sperrig aus seinem Mund. »Cool. Und was bedeutet das?«
    Zhou schenkte ihm ein Lächeln, das Em ebenso freundlich wie nichtssagend vorkam. »Es bedeutet Mai.«
    »Jaja, schon klar. Aber …« Decker kratzte sich wenig vornehm am Hinterkopf. »Da gibt’s doch bestimmt auch irgend ’ne Übersetzung für, oder? Sie wissen schon, so was wie: Der große goldene Drache pupst in den Sonnenaufgang oder so was …« Er brach in heiseres Gelächter aus, in das die Umstehenden nachund nach einstimmten, bis das gesamte Großraumbüro erfüllt war von schenkelklopfendem Frohsinn.
    Einzig Mai Zhou verzog keine Miene.
    Sie wartete geduldig, bis der Heiterkeitsausbruch abgeflaut war. »Mein Name ist Mai«, wiederholte sie, als sich alle beruhigt hatten, und wieder fiel Em der außerordentliche Wohlklang ihrer Stimme auf. »Von althochdeutsch meio, zurückgehend auf die römische Göttin Maia, traditionell der fünfte Monat im gregorianischen Kalender.« Als sie die überwiegend fassungslosen Blicke ihrer neuen Kollegen bemerkte, hob Mai Zhou amüsiert die Achseln. »Meine Eltern waren immer große Verehrer der europäischen Kultur, insbesondere der deutschen. Und Robert Schumanns Liederzyklus ›Dichterliebe‹ beginnt mit den Worten: ›Im wunderschönen Monat Mai‹, was meine Mutter dazu inspiriert hat, mir diesen Namen zu geben.«
    Em registrierte den leisen Spott, der in ihren Worten mitschwang. Zugleich fragte sie sich, was Mai Zhous Eltern wohl von der Berufswahl ihrer Tochter hielten. Im Grunde sah die junge Asiatin nämlich eher nach einer Geigerin aus. Oder nach einer Tänzerin. Auf jeden Fall irgendwas Musisches.
    Aber das hier war die Abteilung

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