Siebenschön
sich wieder der mysteriösen Karte zu. Wieso, zur Hölle, jagte dieses verdammte Ding ihr solche Angst ein?
Da hat sich jemand einen dummen Scherz erlaubt, versuchte sie, wieder Ordnung in das Chaos in ihrem Kopf zu bringen. Jemand, der zu viel Zeit hat. Der sich willkürlich irgendwelche Adressen aus dem Internet oder aus dem Telefonbuch raussucht und der dann …
Du stehst gar nicht im Telefonbuch, widersprach ihr Verstand. Zumindest nicht mit deinem Vornamen. Der Eintrag lautet: »Höffgen, M. und C.«
Aber dieser Unbekannte weiß, wie du mit Vornamen heißt.
Es muss jemand sein, den du kennst.
Der Gedanke raubte ihr ein paar quälende Sekunden lang buchstäblich den Atem. Klar, jeder Mensch kannte ein paar Idioten. Leute, die einfach nur furchtbar waren. Die merkwürdige Dinge taten. Leute, die nervten. Aber das hier … Sie betrachtete wieder die spinnenbeinigen Fs in ihrem Nachnamen. Das hier war krank. Sie konnte zusehen, wie sich die Härchen an ihren Unterarmen aufstellten. Sie war nie besonders ängstlich gewesen. Folglich musste es einen konkreten Grund geben, wenn sie auf diese Weise reagierte oder besser: überreagierte. Doch allein aus dem, was dort geschrieben stand, ließ sich dieser Grund nicht ableiten. Oder vielleicht doch?
Allerdings solltest Du Dich lieber beeilen …
Sie leckte sich über die Lippen, die von einer Sekunde auf die andere staubtrocken waren. Beeilen? Warum?
Um Jennifer zu retten , flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf, die ihr fremd und vertraut zugleich vorkam.
»Ich weiß ja nicht mal, wer das ist«, widersprach Christina halblaut. »Und überhaupt, wie komme ich dazu, mich von irgendeinem Mistkerl, der noch nicht mal richtig Deutsch kann, derart ins Bockshorn jagen zu lassen!«
Entschlossen schob sie die Karte mitsamt dem Umschlag unter die übrigen Sendungen auf dem Tisch, als ließe sich ihr Vorhandensein auf diese Weise einfach ausblenden.
Dann stand sie auf und verließ hastig den Raum.
Bevor sie in die Küche ging, um das Abendessen vorzubereiten, überprüfte sie sämtliche Fenster im Erdgeschoss.
7
»Benjamin hat angerufen.«
»Toll. Danke. Ich liebe dich auch.«
»Du sollst ihn bitte mal zurückrufen.«
Anstelle einer Antwort zerknüllte Em den Haftzettel mit der Telefonnotiz, der an ihrem Bildschirm pappte, und warf ihn vor den Augen der Kollegen in den Mülleimer unter dem Schreibtisch. »Ist das klar genug für euch?«
»Verdammt, Em, das ist aber echt herzlos!«, rief Alex Decker, der Frauenschwarm der Abteilung, der Oldtimer und American Football liebte und nebenbei auch noch deutscher Vizemeister im Streetfighting war.
Im Job kleidete Decker sich betont leger, und sein dunkelblondes Haar war ein ganzes Stück zu lang, zumindest für Ems Geschmack. Doch nach allem, was sie hörte, fanden die meisten anderen Frauen, vor allem die weiblichen Verwaltungsangestellten, Deckers Look geradezu unwiderstehlich.
»Nein, das ist nicht herzlos«, widersprach sie, indem sie sich auf ihren Stuhl fallen ließ und einen raschen Blick in ihre E-Mails warf. »Das ist konsequent.«
»Aber er ist doch wirklich ein prima Kerl und …«
»Hab ich was anderes behauptet?«
»Um wen geht’s?«, wollte Sven Gehling wissen, der in diesem Augenblick mit einem Laptop unterm Arm hereinkam.
»Um niem…«, setzte Em an, doch Decker war schneller.
»Um Benjamin von Treskow«, erklärte er und wich lachend dem Kugelschreiber aus, den Em nach ihm warf.
Gehling, dreiundzwanzig Jahre jung, Computerspezialist und vom Schicksal nicht gerade verwöhnt, was sein Aussehen betraf, zog augenblicklich den Kopf ein. Wie die meisten anderen hier wusste er, dass Em und Treskow fast ein Jahr lang eine mehr oder minder lose Beziehung geführt hatten. Sie waren ein paarmal zusammen im Penny Lane aufgelaufen, der Stammkneipe der Abteilung, und Em hatte Treskow zur Weihnachtsfeier der Staatsanwaltschaft begleitet. Unter der Hand waren bereits Wetten abgeschlossen worden, ob und wann die beiden zusammenziehen oder vielleicht sogar heiraten würden. Doch seit einiger Zeit herrschte Funkstille zwischen den Liebenden, zumindest von Ems Seite aus.
In den Gängen und insbesondere auf der Herrentoilette wurde seit Wochen munter über den Trennungsgrund spekuliert, und nach allem, was Gehling wusste, stand ein angeblicher Fehltritt Treskows ganz oben auf der Liste der möglichen Ursachen für den Bruch. Eine These, auf die der junge Computerfachmann, der seine Karriere mit vierzehn als Hacker
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