Siebenschön
nächsten Augenblick war er verschwunden.
Jenny hörte seine Schritte, die sich langsam entfernten. Kurz darauf setzte das Geräusch wieder ein. Und dieses Mal erkannte sie auch, was sie da hörte.
Es war das Scharren eines Besens, der über einen rauen Untergrund geführt wurde.
9
Michael Höffgen schüttelte den Kopf und las die mysteriöse Karte ein zweites Mal. Er wirkte müde und frustriert an diesem Abend. Wie jemand, der viele Stunden hart gearbeitet und dabei nicht viel erreicht hatte.
Christina biss sich schuldbewusst auf die Lippen, weil sie ihn gleich in der Diele mit ihren Problemen bestürmt hatte. Aber die Sache ließ sie einfach nicht los. Und ihr Mann war der einzige Mensch, mit dem sie über solche Dinge sprechen konnte. Der Einzige, der ihre Situation vielleicht sogar ernst nehmen würde.
»Was soll das sein?«, fragte er, als er zu Ende gelesen hatte.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Christina wahrheitsgemäß.
»Aber das Ding ist an dich adressiert«, sagte er und schaute wieder auf den Brief.
»Ja.«
Ihre Finger schlossen sich wütend um das Geschirrhandtuch, das sie noch immer in der Hand hielt. Es war eine simple Feststellung, doch für sie klang es fast wie ein Vorwurf.
Das Ding ist an dich adressiert …
Sie merkte, wie sie langsam die Nerven verlor.
»Keine Ahnung, warum.«
Ihr Mann warf ihr einen zweifelnden Blick zu. »Und was ist mit dieser Jennifer? Wer ist das überhaupt?«
Sie hob hilflos die Schultern. »Ich kenne keine Jennifer.«
»Nicht?«
»Nein, ehrlich.«
Er schüttelte verständnislos den Kopf. »Aber hier steht doch …«
»Ich weiß, was da steht«, fuhr sie ihn an. »Und glaub mir, ich habe wirklich hin und her überlegt.«
»Vielleicht kennst du sie nur mit ihrem Nachnamen.«
Christina dachte eine Weile über diese Alternative nach.»Nein«, entschied sie dann. »Wenn’s so wäre, hätte der Schreiber das doch anders formuliert.« Sie tippte auf die Karte. »Aber hier steht eindeutig: ihr Name ist jennifer, falls es Dich interessiert …«
»Stimmt«, brummte Michael. »Bloß … Wieso bist du so sicher, dass der Schreiber ein Mann ist? Die Schrift sieht eigentlich eher nach einer Frau aus.«
»Findest du?«
»Schwer zu sagen …« Er starrte auf die spinnenbeinigen Buchstaben hinunter. »Aber ganz egal, wer das geschrieben hat – er oder sie sollte sich erst mal mit Rechtschreibung befassen. Dieser Typ kann ja nicht mal ’ne einfache Zahl richtig schreiben. Und gleichzeitig wirft er mit fernöstlichen Weisheiten und hebräischen Begriffen um sich. Oder was ist das da am Schluss?«
»Jiddisch, glaube ich«, nickte Christina mit einem leisen Schaudern.
»Hm«, ihr Mann nickte. »Bedeutet másl nicht so viel wie Glück?«
»Ich weiß es nicht, okay?«
Die Schärfe in ihrem Ton ließ ihn aufhorchen. »Hey, was ist los mit dir? Worüber regst du dich so auf?«
Sie blickte zu Boden. Jetzt, da sie sich verraten hatte, kam sie sich selbst ein wenig albern vor. Und doch … »Es ist das Gesamtpaket«, erklärte sie zögerlich. »Irgendetwas daran macht mir Angst.«
»Angst?« In Michaels Augen lag blankes Unverständnis.
»Angst, ein ungutes Gefühl, Sorgen«, sie hob hilflos die Hände, »such dir was aus.«
Seine Miene drückte nach wie vor Zweifel aus, aber er kannte seine Frau lange genug, um zu wissen, dass sie nicht so ohne Weiteres die Beherrschung verlor, und die Heftigkeit ihrer Reaktion brachte ihn immerhin ins Nachdenken.
»Ich weiß nicht, warum, aber ich habe das Gefühl, dass diese Jennifer tatsächlich in Gefahr sein könnte«, legte Christina, dieMorgenluft witterte, eilig nach. »Dass sie … Ach, keine Ahnung. Dass sie unsere Hilfe braucht.«
»Du liebe Güte, Christina, jetzt übertreibst du aber.«
Sie sah ihn an. »Hoffentlich.«
»Was ist mit dieser Adresse?«, startete er einen neuen Versuch, die Sache mit Vernunft anzugehen. »Sagt die dir wenigstens irgendwas?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe schon nachgesehen. Fordstraße 237 ist in Fechenheim, irgendwo ziemlich weit draußen.«
»Vermutlich im Gewerbegebiet«, nickte er. »Die Adresse zumindest klingt danach …«
»Mag sein.«
»Und du bist sicher, dass du noch nicht dort warst?«
»Ja, verdammt, da bin ich ganz sicher!«
Er musterte sie einige Sekunden lang schweigend, und sie hatte das unangenehme Gefühl, als ob er ihr irgendetwas an dieser Geschichte partout nicht glaubte. Dann warf er einen Blick auf seine Armbanduhr. »Was gibt’s zum
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