Siebenschön
geschmacklos wie die gesamte Veranstaltung. Aber gut, über Stil lässt sich ja nun mal nicht streiten. Und was haben wir hier? Sieh an, Mama ist mal wieder irgendwo in der Weltgeschichte unterwegs. Wie schön für sie, so frei und unbeschwert Papas Erbe durchzubringen. Und wo genau aalen wir uns dieses Mal in der Sonne? Malediven? Soso. Na, in Gottes Namen, wenn’s ihr Freude macht! Aber was …
Christina stutzte, als sie auf einen elfenbeinfarbenen Umschlag aus schwerem Büttenpapier stieß. Die Adresse war von Hand geschrieben, eine Schrift, die sie niemals zuvor gesehen hatte, da war sie ganz sicher. Als Grafikerin hatte sie schon von Berufs wegen einen Blick für solche Dinge, und die Art, wie die »fs« in »Höffgen« nach unten gezogen waren, war wirklich sehr markant.
Oh ja, dachte sie, diese Schrift würde ich unter Garantie wiedererkennen, wenn ich sie schon mal gesehen hätte. Neugierig suchte sie nach einem Absender. Aber sie wurde enttäuscht: Die Rückseite des Umschlags war unbeschriftet.
Ratlos hob sie das Kuvert an die Nase. Eine unreflektierte, spontane Reaktion. Eigentlich mehr eine Verlegenheitsgeste. Doch zu ihrer Überraschung hatte der Brief tatsächlich ein Aroma.
Christinas Blicke wanderten ziellos über die Buchrücken im Regal, während ihr Gehirn versuchte, den Geruch zuzuordnen. War das Lavendel? Oder Veilchen oder so was? Sie verzog angewidert das Gesicht. Auf jeden Fall verdammt altmodisch. Und irgendwie auch unangenehm.
Trotzdem machte sie sich dieses Mal die Mühe, den Brieföffnervom Sekretär ihres Mannes zu holen. Dann schlitzte sie das Kuvert vorsichtig der Länge nach auf und fand eine Briefkarte in demselben edlen Papier wie der Umschlag.
Als Erstes fiel ihr auf, dass der Text keine Anredeformel enthielt. Er begann einfach. Und zu ihrer größten Verwunderung lautete der erste Satz: Theo hat versagt.
Christina runzelte die Stirn.
Theo?
Spontan fiel ihr ein Satz aus einem Song ein: Who the fuck is Theo?
Aber mal ernsthaft: Das ergab keinen Sinn! Mechanisch griff sie erneut nach dem Kuvert und vergewisserte sich, dass dort tatsächlich ihr Name stand.
Frau Christina Höffgen, Adelhausener Straße …
Das war leider ziemlich eindeutig. Und doch musste es sich um irgendeine kuriose Verwechslung handeln. Sie kannte keinen Theo. Nicht von früher und auch aktuell nicht. Sie schluckte. Ohne erkennbaren Grund schlug ihr das Herz auf einmal bis zum Hals. Irgendwas stimmte nicht mit diesem Brief. Mit dieser Karte. Da war eine Bedrohung, die von dem cremeweißen Stück Papier ausging. Ein kalter Hauch, der sich wie ein plötzlicher Schatten auf ihre Haut legte.
Einen flüchtigen Moment lang erwog sie, Karte und Kuvert einfach ungelesen in den Müll zu werfen. Aber die seltsam ineinander verschlungenen Buchstaben zogen ihre Aufmerksamkeit magisch auf sich.
Theo hat versagt. Tja, Glück für Dich! Ich schätze, das bedeutet, dass nummer sibn Dir gehört. Masl-tów! Wohlan denn: Folge dem Pfad der Erleuchtung, und er wird Dich ans Ziel führen. Allerdings solltest Du Dich lieber beeilen. Die Adresse ist: Fordstraße 237. Ach übrigens: ihr Name ist jennifer, falls es Dich interessiert.
Christina starrte auf die Karte in ihren Händen, bis die krakeligen Schriftzüge unter ihren Augen verschwammen. Wer, umHimmels willen, dachte sich so einen verschrobenen Mist aus? Irgendein religiöser Eiferer?
Sie dachte an die Kettenbriefe, die sie als junges Mädchen bekommen hatte. Briefe, die androhten, dass etwas Schlimmes passieren würde, wenn man sie nicht zigmal abschriebe und anschließend binnen vierundzwanzig Stunden an drei oder fünf oder zehn Freundinnen schickte.
Aber diese Karte hier enthielt keinerlei Aufforderung. Oder?
Folge dem Pfad der Erleuchtung … Allerdings solltest Du Dich lieber beeilen.
Erschrocken drehte Christina den Kopf und sah zur Terrassentür hinüber, hinter der sich bereits die abendliche Dämmerung breitgemacht hatte.
Geschlossen. Natürlich.
Was solche Dinge anging, waren Michael und sie sehr gewissenhaft. Sie hatten beide verdammt hart arbeiten müssen für das, was sie besaßen. Und sie taten alles, um ihren Besitz nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen.
Trotzdem kam es Christina mit einem Mal vor, als ob sie beobachtet würde. Als ob da jemand wäre, der sie anstarrte. Und der aufmerksam verfolgte, was sie tat. Ob sie etwas tat.
ihr Name ist jennifer, falls es Dich interessiert …
Sie riss den Blick von der Terrassentür los und wandte
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