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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Winter
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missdeutete.
    »Okay.« Sie zerrte ihr iPhone aus der Hosentasche, während der Leiter der Abteilung für Kapitaldelikte wieder nach der Briefkopie griff.
    »Allerdings solltest du dich lieber beeilen«, las er laut, während Capelli fluchend durch ihre Kontakte scrollte. »Die Adresse ist Fordstraße 237 …« Er hielt inne und sah Zhou an: »SagenSie, hätten die Höffgens unsere Unbekannte eigentlich retten können, wenn sie ein paar Stunden früher in dieser Halle gewesen wären?«
    »Die Gerichtsmedizin sagt nein.«
    »Sicher?«
    »Ganz sicher«, nickte Zhou. »Christina Höffgen kam nach eigenen Angaben gegen halb sieben nach Hause. Und zu diesem Zeitpunkt war die Frau nachweislich schon ein paar Stunden tot.«
    »Dr. Bechstein meint, der genaue Todeszeitpunkt liege irgendwo zwischen eins und drei heute Nachmittag«, ergänzte Capelli, die ihr iPhone inzwischen wieder weggesteckt hatte.
    »Warum verarscht er sie so?«, murmelte Makarov.
    »Sie haben recht«, sagte Zhou. »Das haben wir bislang nicht bedacht.«
    »Was?«, fragte Decker.
    Zhou schenkte ihm ein hintergründiges Lächeln. »Dass Christina Höffgen ungeachtet dessen, was der Brief suggeriert, nie eine Chance hatte …«

ZWEI

    Wer nach der Wahrheit sucht,
    darf nicht erschrecken, wenn er sie findet.
    Chinesisches Sprichwort

Freitag, 16. November
1
    Sie waren erst um drei Uhr früh auseinandergegangen. Ein paar Stunden Schlaf, eine heiße Dusche, frische Klamotten und ein hastiger Kaffee im Stehen. Mehr war unter den gegebenen Umständen nicht drin.
    Die noch immer feuchten Haare unter einer wenig kleidsamen Mütze verborgen und in Gedanken bereits wieder im Präsidium, zog Em gegen acht Uhr morgens ihre Wohnungstür in der Berger Straße hinter sich ins Schloss. Sie nahm fast immer die U-Bahn zur Arbeit, eine Station bis zur Konstablerwache, Umsteigen und dann drei Haltestellen mit der U5. Einfacher konnte man sich im notorisch verkehrschaotischen Frankfurt kaum fortbewegen, zumal die U-Bahn-Station Merianplatz praktisch unmittelbar vor ihrer Haustür lag.
    »Morgen, Em!«, begrüßte sie eine warme Frauenstimme, als sie die Briefkästen im Erdgeschoss erreicht hatte.
    Em – eigentlich schon halb aus der Tür – drehte sich um. Ihr stand ganz und gar nicht der Sinn nach einem Schwätzchen, aber sie mochte Trudi Stein. Mehr noch: Seit sie vor etwas über einem Jahr die geräumige Dreizimmerwohnung im zweiten Stock des hübsch restaurierten Altbaus bezogen hatte, war die quirlige Frau, die im Erdgeschoss einen kleinen, aber erlesenen Feinkost- und Geschenkartikelladen betrieb, fast so etwas wie eine Ersatzmutter für sie geworden. Und während Em ihre eigene, aus Sizilien stammende Familie mit Fug und Recht als wenig verlässlich empfand, vermittelte Trudi ihr das angenehmeGefühl, dass es in ihrem Leben so etwas wie eine Konstante gab. Etwas, das einfach so blieb, wie es war, ganz egal, was in den Wirren des Alltags geschah.
    Bezeichnenderweise war »He, Kindchen, Sie sehen aus, als ob Sie ’n bisschen Nervennahrung gebrauchen könnten!«, das Erste gewesen, was Trudi Stein jemals zu ihr gesagt hatte, und im selben Atemzug hatte sie ihr eine Riesentüte feinster Marzipankartoffeln in die Hand gedrückt.
    Seither rief Trudi Em regelmäßig zu sich, meist unter dem Vorwand, dass sie irgendeiner Nichtigkeit wegen ihren Rat benötige. Ein Hersteller, der nicht spurte. Eine neue Sorte Kaffee, die probiert werden wollte. Doch ganz gleich, worum es ging, diese Gelegenheiten endeten immer damit, dass sie bei Gebäck und irgendeinem köstlichen Heißgetränk im Hinterzimmer von Trudis Laden saßen und über Gott und die Welt redeten. Und wenn Em anschließend pappsatt und zufrieden in ihre Wohnung zurückkehrte, konnte sie sicher sein, gut zu schlafen und am nächsten Morgen mindestens ein Kilo mehr auf die Waage zu bringen.
    »Morgen, Trudi«, erwiderte sie den Gruß. »Wie läuft’s?«
    »Bei mir?« Die himmelblauen Augen der Ladenbesitzerin blitzten vergnügt. »Na prächtig, was denn sonst?«
    »Das höre ich gern.«
    »Und selbst?«
    »Jaja …«
    »Musst du etwa schon wieder zum Dienst?«
    »Na klar. Irgendeiner muss den Job ja schließlich machen.«
    »Und warum überlässt du die Drecksarbeit nicht den Jungs?«
    Em grinste. »Weil die Drecksarbeit was für Leute mit Köpfchen ist.«
    Trudi schnippte in gespieltem Erkennen mit den Fingern. »Siehst du, das war’s! Ich wusste, es gibt ’ne plausible Erklärung.« Sie stemmte eine ihrer üppig

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