Siebenschön
beringten Hände gegen den Türrahmen und verlagerte das Gewicht auf den anderen Fuß. »Ich will nicht uncharmant sein, Schätzchen, aber du siehst ziemlich gestresst aus.«
»War ’ne lange Nacht«, entgegnete Em ausweichend. Und als sie sah, dass diese Antwort Trudi nicht zufriedenstellte, setzte sie eilig hinzu: »Ich fürchte, wir haben da eine ziemlich üble Sache am Hals.«
»Was genau verstehst du unter übel?«
»Krank. Ich meine hier oben.« Sie tippte sich an die Stirn. »Etwas, das selbst in einer Stadt wie dieser ganz eindeutig den Rahmen sprengt.«
Trudi verzog ihr tadellos glattes Gesicht. Wie alt sie war, hätte Em beim besten Willen nicht sagen können. Aber realistisch betrachtet bewegte sich ihr Alter vermutlich irgendwo zwischen Ende sechzig und Mitte siebzig. Trotzdem wirkte Trudi Stein zeitlos wie eine von diesen fernöstlichen Statuen, in deren geheimnisvollen Zügen sich unendliche Weisheit und jugendliche Frische vereinten.
Das Stichwort »fernöstlich« hingegen trübte Ems Laune erwartungsgemäß schlagartig ein.
Und Trudis überwache Sensoren registrierten die Veränderung sofort: »Sonst alles klar?«, fragte sie mit einem Anflug von Sorge.
»Mehr oder weniger.«
»Wieso beruhigt mich diese Antwort nicht?«
Em seufzte. »Ich habe eine neue Partnerin.«
Trudis hübsch geschwungene Augenbrauen zogen sich zu einem durchgehenden Strich zusammen. »Eine Partner in ?«
»Jep.«
»Wolltest du das so?«
Verdammt, diese Frau war einfach zu gut! Wütend schob Em eine verirrte Locke unter den Rand ihrer Mütze zurück. »Jetzt fang du nicht auch noch an!«
»Anfangen?« Die blauen Augen blickten vollkommen unschuldig drein. Doch davon ließ sich Em schon lange nicht mehr täuschen. »Womit?«
»Mir weismachen zu wollen, dass ich nicht weiberkompatibel sei. Das stimmt nämlich nicht, okay?«
»Weiberkompatibel«, wiederholte Trudi genüsslich. »Was für ein schönes Wort!«
»Herrgott«, fuhr Em auf, »ihr tut alle so, als ob mir nicht bewusst wäre, dass es da draußen ganz irrsinnig viele talentierte junge Polizistinnen gibt, die unsere Arbeit unter Garantie ganz irrsinnig bereichern werden und uns neue Impulse geben und all das …«
»Da draußen …« Trudi gluckste. »Hast du das aus einem dieser Flyer, mit denen ihr unschuldige junge Mädchen anwerbt?«
»… und ich finde es auch irrsinnig toll, was Frauen alles zu leisten imstande sind«, fuhr Em unbeirrt fort. »Ganz abgesehen davon, dass Mai Zhou ganz sicher die qualifizierteste Sechsundzwanzigjährige ist, die mir bislang untergekommen ist, aber …«
»Mai Zhou?«, fiel Trudi ihr ins Wort.
»Ja. Und?«
»Asiatin?«
»Hm. Chinesin, glaub ich.« Sie zögerte. »Halbchinesin.«
»Eins von diesen Austauschprogrammen?«
»Schön wär’s«, entfuhr es Em.
»Das heißt, die Sache ist für länger«, schloss Trudi mit gnadenloser Konsequenz.
»Darauf würde ich an deiner Stelle nicht unbedingt mein Erspartes setzen«, schnaubte Em, die allmählich richtig in Fahrt kam.
»Soso …« Ihre Nachbarin blickte zu Boden. »Meine Großnichte lernt jetzt übrigens auch Chinesisch.«
»Toll«, entgegnete Em mechanisch, während ihr Verstand noch damit beschäftigt war, die Tatsache zu verarbeiten, dass Trudi eine Verwandte hatte. Eine Großnichte. So viel Anteil Trudi Stein mittlerweile auch an ihrem Leben nahm, so wenig erzählte sie über sich selbst. Da kam das Vorhandensein einer Nichte einer kleinen Sensation gleich!
»Sie ist vier.«
Em blickte irritiert auf. »Wer?«
»Meine Großnichte.«
»Oh …«
Trudi lachte, als sie Ems entgeisterte Miene sah. »Ihre Mutter ist der Ansicht, dass man nicht früh genug damit beginnen kann, die Kinder fit zu machen für die Herausforderungen einer globalen Zukunft oder wie sie das heutzutage nennen.«
Em hob entschuldigend die Achseln. »Tut mir echt leid, aber jetzt muss ich wirklich los. Ich bin auch so schon viel zu spät dran …«
»Natürlich.«
»Also dann bis bald!« Sie hob die Hand zum Gruß und wandte sich zum Gehen.
»Moment noch«, rief Trudi und verschwand mit erstaunlicher Behändigkeit in ihrem Laden.
Em hörte ein Rascheln und etwas wie Pappe, die zerrissen wurde. Gleich darauf kehrte ihre Nachbarin mit einer hübsch verpackten Schachtel zurück.
»Wegzehrung«, sagte sie nur. Dann schloss sie winkend die Tür zu ihrem Laden und ließ die verdutzte Em im Treppenhaus zurück.
2
Die Trüffel, die Trudi ihr mitgegeben hatte, waren in kostbare bunte
Weitere Kostenlose Bücher