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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Winter
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Praxis lief gut, aber auch nicht berauschend.«
    »Und privat?«
    »Sie hat allein gelebt, hatte aber seit einiger Zeit einen festen Freund.«
    »Den besagten Börsenmakler«, bemerkte Em mit einem süffisanten Lächeln.
    Wie aufs Stichwort ging in diesem Augenblick die Tür auf und Zhou trat herein. »Guten Morgen.«
    »Morgen«, knurrte Em und schob sich grimmig einen weiteren Trüffel in den Mund. »Lust auf Schokolade?«
    »Nein, vielen Dank.«
    Distanziert. Untadelig höflich. Und einfach nur zum Kotzen, fand Em.
    So werden wir bestimmt keine Freunde, dachte sie, indem sie ihre neue Partnerin einer erneuten, ebenso gründlichen wie kritischen Musterung unterzog. Doch zu ihrem Bedauern, fand sie – zumindest rein äußerlich – wenig Angriffsfläche: Mai Zhous Gesicht war ein Traum in Pastell. Wie man so früh am Morgen schon derart wach und gestylt aussehen konnte, war Em vollkommen schleierhaft. Bei ihr lief das so: Der Wecker klingelte, sie sprang kurz unter die Dusche – und das war’s. Dass man die Energie aufbrachte, eine halbe oder gar ganze Stunde früher aufzustehen, nur um sich irgendwelche bescheuerte Farbe ins Gesicht zu klatschen, überstieg definitiv ihre Vorstellungskraft.Entsprechend aggressiv machte sie der Anblick rosiger Frische in Mai Zhous Gesicht.
    Warum arbeitet die Kuh nicht einfach als Model?, fluchte sie im Stillen, dürr genug ist sie allemal, und dann hätten wir hier auch alle wieder unsere Ruhe!
    Doch auch dieses Mal schien Mai Zhou instinktiv zu spüren, dass Em in Gedanken über sie herzog. Sie sah kurz herüber, um gleich darauf mit einem undurchsichtigen Lächeln den Blick abzuwenden.
    Em fiel ein, mal irgendwo gelesen zu haben, dass das Lächeln in Asien, insbesondere in China, ein Ventil für starke Gemütsbewegungen darstellte und als solches auch in unpassenden Situationen zum Tragen kam. Aber Mai Zhou war doch angeblich in Frankfurt aufgewachsen. Sie angelte sich einen neuen Trüffel aus der Schachtel in der Mitte des Tisches. Somit war Verlegenheit ja wohl keine Entschuldigung für dieses dumme Gegrinse!
    »Und?«, fragte Decker, nachdem Mai Zhou auf einem Stuhl ihnen gegenüber Platz genommen hatte. »Was hat der Herr Finanzjongleur zu sagen?«
    »Leider nicht viel«, antwortete Zhou. Sie war deutlich legerer gekleidet als am Vortag, in Bluejeans, schwarzem T-Shirt und Blazer im Herrenstil. »Nach allem, was er mir erzählt hat, scheinen Jenny und er eine mehr oder weniger lose Beziehung geführt zu haben.«
    Em sah sie an. »Und das heißt …?«
    »Das heißt, dass sie nicht vorhatten zusammenzuziehen. Und dass sie einander offenbar ihre Freiheiten ließen.«
    »Auch sexuell?«
    »Das hat er so direkt natürlich nicht gesagt«, räumte Zhou ein, »aber ich würde mal davon ausgehen.«
    Em wickelte ihren Trüffel aus und las: Wenn das, was du sagen möchtest, nicht schöner ist als die Stille, dann schweige …
    »Und wann hat der Herr Börsenmakler seine Freundin zuletzt gesehen?«
    »Am Tag vor seiner Abreise. Die war am zehnten.«
    »Dann haben wir also ein Zeitfenster von sechs Tagen«, nickte Em nach kurzem Rechnen.
    »Genau.«
    »Gut.« Sie wandte sich an Decker. »Findet raus, was Jenny Dickinson in dem betreffenden Zeitraum getrieben hat. Und vor allem, wann und wo sie zuletzt gesehen wurde.«
    Decker nickte und stand auf. »Ich versuch’s als Erstes in der Praxis und besorge mir die Daten von ihrem Telefonanbieter.«
    »Und rede unbedingt auch mit den Nachbarn.« Em drehte sich zu Gehling um. »Wo hat sie gewohnt?«
    »Im Westend. Beethovenstraße.«
    »Keine üble Gegend«, bemerkte sie. »Vielleicht lief es bei ihr in der Praxis ja doch nicht so schlecht …«
3
    Als sie nach ihrer kleinen Konferenz an ihre Schreibtische zurückkehrten, stürzte Makarov aus seinem Büro. »Capelli! Gut, dass Sie da sind!«
    »Wieso?«
    »Ich habe hier was für Sie.«
    Em zog die Brauen hoch. »Ja?«
    »Ein Uhrmachermeister liegt tot im Büro seines Ladens in der Battonnstraße. Schnappen Sie sich Ihre neue Partnerin, und fahren Sie so schnell wie möglich da hin, okay?«
    »Kann das nicht irgendwer anderes übernehmen?«, protestierte Em. »Immerhin haben wir schon diese zersägte Psychologin am Hals.«
    In Makarovs Augen stahl sich ein Hauch von Missbilligung. »Seien Sie so gut und fahren Sie trotzdem hin«, entgegnete er, und etwas an der Art, wie er das sagte, machte Em auf der Stelle hellhörig.
    »Was ist los mit dem Mann?«, fragte sie.
    »Nichts, außer dass er

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