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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Winter
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vor Jahren zugunsten eines Lehrauftrags und einer eigenen psychotherapeutischen Praxis aufgegeben. Doch in seinen Büchern und Vorlesungen beschäftigte er sich nach wie vor mit dieser Thematik.
    »Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte er, nachdem die beiden Kommissarinnen vor einem ausladenden Mahagonischreibtisch Platz genommen hatten, der den Eindruck erweckte, eine möglichst große Distanz zwischen seinem Besitzer und dessen Besuchern schaffen zu wollen. Ganz im Gegensatz zum Rest des Raums.
    »Es geht um einen Ihrer Patienten«, antwortete Em, undobwohl sie nicht hinsah, bemerkte sie, dass Zhou neben ihr angesichts dieser Untertreibung überrascht die Brauen hochzog.
    Doch Em hatte einen sehr konkreten Plan für dieses Gespräch. Und diesen Plan würde sie verfolgen. Ob er ihrer Partnerin nun in den Kram passte oder nicht.
    »Einen Patienten?« Westens Augen waren von einem ungewöhnlichen Dunkelblau und blickten interessiert und offen. »Sie meinen, es handelt sich um ein Gutachten?«
    »Nein«, sagte Em. »Wenn ich richtig informiert bin, war der betreffende Patient wegen Schlafstörungen und Panikattacken bei Ihnen in Behandlung. Sein Name ist Alois Berneck.«
    Sie taxierte Westens Reaktion genau, doch der Psychologe schien keine Ahnung von den Hintergründen ihres Besuchs zu haben. Das Einzige, was sich beobachten ließ, war, wie seine Miene eine Spur verschlossener wurde. »Und was genau wünschen Sie in diesem Zusammenhang von mir?«
    »Zum Beispiel, dass Sie uns sagen, wer einen Grund hätte, Herrn Berneck das hier anzutun.« Sie griff in ihre Handtasche und reichte ihm ein Foto des toten Kaufmanns über den Tisch. Es zeigte Berneck auf dem Hochsitz, den Rücken zerfetzt von Schrot.
    Westen betrachtete die Aufnahme eine ganze Weile schweigend. »Davon habe ich natürlich in den Nachrichten gehört«, räumte er ein. »Aber ich hatte keine Ahnung, wer die Opfer sind.«
    Em nickte. Mehrere Zeitungen und TV-Sender hatten am Morgen über Leichenfunde im Stadtgebiet berichtet. Zwar war der Presse gegenüber bislang nichts über die Anzahl der Opfer oder die genauen Umstände durchgesickert. Doch was das anging, machte sich Em keine Illusionen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch die Öffentlichkeit zur Kenntnis nehmen würde, dass in dieser Stadt ein Monster umging.
    »Herr Berneck war Mitglied einer Ihrer Gesprächsgruppen, nicht wahr?«, wandte sie sich wieder an Westen.
    »Richtig.«
    »Und was genau war los mit ihm?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Nach allem, was wir über den Mann wissen, war er nicht der Typ, der aus lauter Jux und Tollerei zu einem Seelenklempner rennt, um dort vor einer Horde fremder Leute sein Herz auszuschütten.«
    Die Respektlosigkeit ihrer Formulierung prallte an Westen ab wie an einer Rüstung. Er war durch und durch Profi. »Was genau wissen Sie denn über ihn?«, versuchte er die Sache umzudrehen.
    Doch Em dachte gar nicht daran, auf die Gegenfrage einzugehen. »Was hatte es zum Beispiel mit seinen Panikattacken auf sich?«
    Der Psychologe hob abwehrend die Hände. »Sie erwarten doch nicht im Ernst von mir, dass ich Ihnen Auskunft über vertrauliche Gesprächsinhalte …«
    »Alois Berneck ist tot«, fuhr Em dazwischen. »Das entbindet Sie nicht nur von Ihrer Schweigepflicht, sondern zwingt Sie sogar, alles preiszugeben, das zur Aufklärung dieser Bluttat beitragen könnte.«
    Er betrachtete wieder das Foto in seiner Hand. »In den Medien war von weiteren Leichenfunden die Rede.«
    »Vier, um genau zu sein.«
    Seine Pupillen zogen sich einen flüchtigen Moment lang zusammen, fast so, als blicke er ungeschützt direkt in die Sonne.
    Ein guter Augenblick, um noch einen draufzusetzen, fand Em. »Und wissen Sie, was das Bemerkenswerteste daran ist?«
    »Nein.«
    »Drei der Opfer waren mit Ihnen bekannt.«
    Entweder Sander Westen war der beste Schauspieler, den sie je getroffen hatte, oder aber er war wirklich ahnungslos. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, überlegte es sich jedoch anders und sah wieder das Foto an, als fände er in der Betrachtung des zerstörten Körpers Schutz vor der unbequemen Wahrheit, die hinter diesem Tod stand.
    »Jenny Dickinson, Jonas Tidorf und Alois Berneck«, ergriff Zhou das Wort. »Die beiden Letztgenannten waren Ihre Patienten,und Frau Dickinson hat bei Ihnen hospitiert, wenn wir recht informiert sind.«
    Westens Miene war ausdruckslos. Fast wie erstarrt.
    Em beugte sich vor, bis ihr Oberkörper beinahe die Schreibtischkante

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