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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Winter
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berührte. »Entspricht das der Wahrheit?«
    Er nickte.
    »Und stimmt es auch, dass Alois Berneck und Jonas Tidorf Mitglieder derselben Gesprächsgruppe waren?«
    »Ja.« Er zögerte. »Ich habe verschiedene solcher Angebote, und diese Gruppe trifft sich alle zwei Wochen donnerstags um achtzehn Uhr. Berneck kam seit einem Dreivierteljahr. Ungefähr. Und Tidorf stieß kurz nach ihm dazu. Allerdings habe ich beide schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen.«
    Klar, dachte Em, sie waren zu tot, um über ihre Angstattacken zu reden!
    »Was für eine Art von Patienten kommt zu diesen Donnerstagstreffen?«, fragte sie.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Essgestörte, Tierhasser oder doch eher Zwangsneurotiker?«
    Er lächelte. »Ganz so einfach ist das leider nicht …«
    »Versuchen Sie’s!«, entgegnete sie zuckersüß. »Ich meine, Sie werden mir doch wohl kaum erzählen wollen, dass Sie Bulimiker mit Schizophrenen zusammenspannen, oder?«
    Er lächelte noch immer. »Nicht unbedingt.«
    »Und was also haben diese Donnerstags-achtzehn-Uhr-Leute für ein Problem? Soziopathie?« Sie fixierte ihn über den Schreibtisch hinweg. »Denn das ist doch schließlich Ihr eigentliches Spezialgebiet, nicht wahr?«
    »Gewissermaßen«, antwortete er beinahe widerwillig.
    »Darf ich fragen, warum Sie Ihre Arbeit in Haina aufgegeben haben?«
    Er zuckte die Achseln. Vielleicht eine Spur zu gleichgültig. »Ich fand, es sei an der Zeit, mal was anderes zu versuchen.«
    Em brach in höhnisches Gelächter aus. »Das können Sie Ihrer Großmutter erzählen, okay?«
    Sein Blick traf sie plötzlich, wie eine zupackende Kobra, und von einem Augenblick auf den anderen wurde ihr klar, dass er gefährlich war. »Ich hatte die Schnauze voll, okay?«
    Er hatte ihren Tonfall ganz bewusst nachgeahmt. Doch Em war entschlossen, sich nicht provozieren zu lassen. »Soso, Sie hatten also die Schnauze voll.«
    »Ja.«
    »Und von was?«
    »Die Wahrheit?« Er sah ihr direkt in die Augen. »Ich konnte diesen Dreck einfach nicht mehr ertragen.«
    »So also sehen Sie Ihre Patienten? Als Dreck?«
    Er stöhnte und wandte den Blick ab. »Ich bin bestimmt nicht so naiv zu behaupten, dass es meine Ehe zerstörte. Oder das Verhältnis zu meinem Sohn. Aber es … Es begann mich zu zerstören, verstehen Sie das?«
    Sie betrachtete seine Hände, die maskulin und sensibel zugleich waren. In gewisser Weise verstand sie ihn tatsächlich. Sie liebte ihren Job, und die Abteilung für Kapitaldelikte war der Bereich, für den sie sich ganz bewusst entschieden hatte. Und doch schlief sie schlecht, seit sie diese enorme Verantwortung trug. Manchmal kam es vor, dass sie die ganze Nacht wach lag. Dass ein Fall sie einfach nicht losließ. Dass sie sich mit dem Gefühl quälte, dass jemand davonkam, einzig und allein, weil sie keine Beweise fand. Keine Handhabe hatte, ihn festzunageln. Ihn aus dem Verkehr zu ziehen. Sie lehnte sich zurück, und völlig irrational musste sie auf einmal an Sarah Kindle denken. An den Ausdruck von Triumph in den trägen braunen Augen, als der Richter den Freispruch verkündet hatte.
    »Wissen Sie«, riss Westens Stimme sie aus ihren Gedanken, »eines Tages eröffnete mir mein bester Freund, dass er es nicht mehr ertrage, sich mit mir zu unterhalten.«
    »Und daraufhin haben Sie gleich Ihre Arbeit in der Klinik aufgegeben?« Em schenkte ihm ein süffisantes Lachen. »Ach, kommen Sie!«
    »Nein, da noch nicht«, sagte er ungerührt, und zu ihrer Überraschungsah er auf einmal Zhou an. »Manche Dinge brauchen leider etwas länger.«
    Em war, als ob ihre Partnerin lächelte. Doch um sicherzugehen, hätte sie hinsehen müssen. Und das wollte sie nicht. »Kommen wir zu den Mitgliedern Ihrer Donnerstagsgruppe zurück …«
    »Diese Patienten leiden unter den verschiedensten Störungen, deren Ursprung jedoch ausnahmslos in einem unverarbeiteten Erlebnis zu suchen ist.«
    »Sie meinen eine Art Trauma?«, fragte Zhou, und Em dachte daran, dass Jenny Dickinson ebenfalls eine Fortbildung zum Thema Traumabewältigung gemacht hatte und daraufhin von Westen eingeladen worden war.
    »Wenn Sie so wollen«, nickte er. »Auch wenn natürlich längst nicht alle Betroffenen bereit sind, die Probleme, die in ihrem Alltag auftreten, mit einem traumatischen Ereignis in Verbindung zu bringen.« Seine Augen blieben am Telefon hängen, wo ein blinkendes grünes Lämpchen ein ankommendes Gespräch signalisierte. Er drückte einen Knopf, und das Blinken verschwand. »An dieser Stelle

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