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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Winter
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kommt die Gruppenarbeit ins Spiel als vermeintlich lockerste Form der Therapie. Die Gespräche, die in diesen Gruppen zustande kommen, bewegen sich demgemäß oft weit entfernt von der tatsächlichen Problematik. Trotzdem hilft diese Art von Austausch vielen Menschen dabei, einen neuen, ehrlicheren Blick auf die eigene Persönlichkeit zu richten und damit vielleicht auch ein Stück näher an das eigentliche Problem heranzukommen.«
    »Das bedeutet, die Gespräche entwickeln eine gewisse Eigendynamik?«
    Der Psychologe nickte. »Natürlich besteht für den Therapeuten jederzeit die Möglichkeit, einzugreifen oder das Gespräch in eine bestimmte Richtung zu lenken. Doch von dieser Möglichkeit mache ich persönlich nur sehr selten Gebrauch.«
    »Wieso?«, fragte Em, obwohl sie sich die Antwort denken konnte.
    »Weil man, um sinnvoll eingreifen zu können, sehr konkret wissen muss, wonach man sucht. Das allerdings wissen die Patienten oft selbst nicht.«
    Em legte die Ellenbogen auf die Stuhllehnen. »Das heißt, Sie beschränken sich bei diesen Gesprächen auf die Rolle des mehr oder weniger passiven Beobachters?«
    »Das tut man als Psychologe eigentlich meistens.« Er zuckte beinahe entschuldigend die Achseln. »Ein Professor von mir sagte immer, Psychologie sei nichts anderes, als im Trüben zu fischen, bis sich von selbst etwas an der Angel festbeißt.«
    »Zeichnen Sie diese Gruppensitzungen auf?«, fragte Zhou.
    »Nein.«
    Das hatte Em nicht anders erwartet. »Aber Sie machen sich doch bestimmt Notizen über den Verlauf, oder?«
    »Hin und wieder.«
    »Haben Sie einen Hinweis darauf, dass Alois Berneck sich …« Sie suchte eine Weile nach der passenden Formulierung. »Dass er sich in der Vergangenheit vielleicht mal etwas hat zuschulden kommen lassen?« Sie zögerte, bevor sie hinzufügte: »Ich meine etwas, das gravierender ist als Geschwindigkeitsübertretungen oder eine Anzeige wegen Ruhestörung?«
    Westens Miene verriet, dass er zu deuten versuchte, worauf sie abzielte. Er bat sie um einen Augenblick Geduld und tippte ein paar Befehle in seinen Computer. Dann überflog er stumm die Informationen, die ihm sein Bildschirm lieferte. »Berneck hatte am Anfang Einzelsitzungen«, erklärte er. »Laut Akte allerdings insgesamt nur drei. Er gab an, unter schweren Schlafstörungen zu leiden, und machte Stress mit seinem Arbeitgeber dafür verantwortlich. Allerdings …« Das bläuliche Licht des Bildschirms malte tiefe Schatten auf Westens markantes Gesicht. »Allerdings hat er im Rahmen der genannten Einzelgespräche mal behauptet, einen Autounfall verursacht zu haben, bei dem ein Mensch zu Tode kam.« Er sah hoch. »Ich erinnere mich, dass ich damals das Gefühl hatte, die Sache liege noch nicht allzu lange zurück.«
    Em tauschte einen Blick mit ihrer Partnerin. Gehling hatte bei seinen Recherchen nichts in dieser Richtung gefunden, was im Klartext hieß, dass die Sache offenbar nicht aktenkundig war. Aber bei einem Unfall mit Todesfolge …
    »Würden Sie es für möglich halten, dass Herr Berneck Fahrerflucht begangen hat?«
    Westen ließ sich lange Zeit, ehe er antwortete. »Falls ja, wäre das lediglich ein Schluss, den man aus seinen Reden ziehen könnte. Explizit gesagt hat er es nicht.«
    »Ist dieser Unfall auch während der Gruppensitzungen noch mal zur Sprache gekommen?«, erkundigte sich Zhou interessiert.
    »Möglich.«
    »Die Antwort auf diese Frage ist wichtig«, insistierte Em.
    Das brauchen Sie mir nicht zu sagen , versetzten Westens Augen. Laut sagte er: »Ich bin ziemlich sicher, dass die Sache mal Thema gewesen ist. So was ergibt sich oft von selbst. Und es fällt vielen Patienten sogar leichter, über ein solches Erlebnis zu sprechen, wenn vor ihnen schon ein anderer gestanden hat, dass er zum Beispiel seine Mutter verprügelt oder seinen Partner betrügt.«
    Interessante Formulierung, dachte Em. Wenn vor ihnen schon ein anderer gestanden hat …
    »Was ist mit Tidorf?«, fragte sie.
    Mit wenigen Mausklicks rief Westen eine andere Datei auf. »Sein Problem waren Konzentrationsstörungen einschließlich der entsprechenden negativen Auswirkungen auf sein Studium.« Er sah hoch. »Zu einem möglichen Auslöser habe ich mir bislang nichts notiert. Aber ich erinnere mich, dass er wohl gewisse Probleme mit seiner Vaterrolle hatte.«
    »Jonas Tidorf hatte ein Kind?« Dieser Umstand war Em neu. Und auch Mai Zhou hob sichtlich irritiert den Blick.
    »Ja«, murmelte Westen, der schon wieder auf den

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